5 jähriger Wanderergeburtstag

Wie schnell die Zeit vergeht. Vor fünf Jahren bin ich unvorbereitet, voller Hoffnung, aber auch mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, von Wien Richtung Atlantik losmarschiert. Das wollte ich zum Anlass nehmen um wieder ein paar Gedanken über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu teilen. Außerdem bin ich euch noch eine kleine Rekapitulation meines Jakobswegurlaubs schuldig. Aber dazu später ein paar Sätze.

Von Wien losmarschiert stimmt ja nicht ganz. Der Start war mehr als holprig. Ich kann mich noch gut erinnern als ich an der Grenze zu Mexiko stand und mir eigentlich bereits bei der ersten Meile dämmerte, dass ich mir vielleicht etwas zu viel zugemutet hatte. Von 0 auf 100 vom comfortverwöhnten Couchpotato zum ahnungslosen Weitwanderer mitten in der Wüste. Bereits nach dem ersten Aufstieg mit meinem völlig überladenen Rucksack war ich am Ende meiner Kräfte. Zitternd und erschöpft fiel ich nach 12 Stunden und nicht einmal 15 Kilometern in meinen Schlafsack.

Übelkeit, Schüttelfrost und schlaffe Gliedmaßen ließen mir am nächsten Morgen Tränen in die Augen steigen. Ich habe realisiert, dass ich zu schwach bin um das durchzuziehen, was ich monatelang angestrebt und geplant hatte.

Nach der Rückreise nach Österreich konnte mich mein Vater mit seinem Vorschlag den Jakobsweg zu bestreiten erneut motivieren. Zugegeben, nicht sofort. Anfangs war ich skeptisch. Der gut ausgebaute Weg in Spanien war in meiner Vorstellung mehr ein Spaziergang als eine Wanderung. „Warum gehst du denn dann nicht von Österreich aus weg?“ Eine simple Frage meines Vaters. Aber selbst war mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass der Jakobsweg ja nicht nur aus Spanien besteht. Zusätzlich verschlang ich Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“, was mir zusätzlich den sozialen Aspekt des Jakobsweges eröffnete.

Und so startete ich am 30.03.2018 beinahe schon überstürzt, als sich ein Schönwetterfenster öffnete. Plötzlich ging alles so schnell. Und doch so langsam. Jeder Tag unterwegs fühlte sich an wie ein Jahr im „Hamsterrad-Leben“, wie ich es gerne nannte. Ich lernte so viele Menschen kennen. Elisabeth, Karin, Nadine und Patricia, die beiden Martins, Bianca, Gordon, Astrid, Tanja, Julia, Basil und viele viele mehr, die zu meinen Weggefährten wurden.

Alleine schon der Gedanke an unsere Zusammenkünfte lässt mich emotional werden. Es entsteht eine ganz eine Bindung zu völlig fremden Menschen. Menschen, denen man in seinem Alltag vermutlich kaum Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Aber während des gemeinsamen Weges wird man zu einer Familie. Man gibt Acht aufeinander, erzählt sich Dinge, die man engsten Vertrauten kaum anvertrauen möchte und es fühlt sich so an, als würde man sich ein Leben lang kennen.

Dieses Gesamtpaket aus physischer Anstrengung, emotionaler Nähe und freien Gedanken erzeugt eine Atmosphäre, wie man sie aus dem Alltag nicht kennt. Es ist ein völlig eigenes Gefühl, welches man kaum beschreiben kann, aber doch jeder andere Weitwanderer kennt. Ein Gefühl, welches das Selbst neu entdecken lässt. Welches einen in die höchsten Höhen, aber auch in die tiefsten Tiefen führen kann. Ein Gefühl, welches dich niemals wieder loslassen wird.

Mir war bereits am Ende des Jakobsweges bewusst, das dies nicht das Ende sein kann. Um dem europäischen Winter zu entfliehen, besuchte ich den Te Araroa Trail. Da hats mir wirklich die Weitwander-Watschn gegeben. Eine gewisse Grundkondition konnte ich mir während des Jakobsweges bereits aufbauen, aber Neuseeland ist da nochmal ein ganz anderes Kaliber. Während dieser Reise lag mein Fokus mehr auf Natur und Erleben. Auch hier lernte ich einige interessante Menschen kennen, welche ich eine Zeit lang begleiten durfte. Dennoch genoss ich es sehr, alleine durch die Insel zu streifen. Neuseeland hat mich definitiv nachhaltig verändert. Ob es die anstrengenden Wege waren, die atemberaubenden Ausblicke oder schlichtweg die Tatsache am anderen Ende der Welt zu sein. So genau kann ich das selbst nicht beantworten. Neuseeland wird für immer in meinem Herzen sein und ich hoffe sehr eines Tages wieder bis zur Hüfte im Gatsch durch die Wälder waten zu dürfen.

Bereits beim zweiten Versuch am PCT fühlte sich das Wandern anders an. Es kehrte langsam Routine ein, vieles wurde zur Gewohnheit. Das Abenteuer rückte in den Hintergrund. Bis auf die schneebedeckten Berge. Das war mir wiederum zu abenteuerlich. Um ganz ehrlich zu mir selbst zu sein, waren die kaum passierbaren Sierras eine willkommene Ausrede um die Weitwanderung langsam ausklingen zu lassen. Der Abstecher auf den Appalachian Trail war ein letzter Versuch die Weitwander-Orgie aufrecht zu erhalten. Aber die Luft war raus. Vielleicht hatte ich auch einfach nur mich selbst gefunden.

Auch wenn das Ende nicht ganz wie erwartet oder gewünscht eingetreten ist, war diese Reise genau das, wonach ich zu genau jenem Zeitpunkt gesucht hatte. Ich wusste nicht wohin, aber der Weg wurde mir gewiesen. Ich fühlte mich eingeengt, aber eine Türe wurde mir geöffnet. Ich wühlte mich alleine in der Dunkelheit, aber die Sonne stieg über den Horizont.

Zurück in Österreich wollte ich sofort wieder arbeiten. Ich war über ein Jahr täglich beschäftigt und plötzlich saß ich im Elternhaus den ganzen Tag nur rum. Eigentlich wollte ich etwas ganz anderes machen, aber mein Weg führte mich zurück zur Versicherung. Und wer hätte gedacht, dass man tatsächlich morgens gerne aufstehen kann und dass man seinen Job lieben kann. Wenn man seiner Arbeit mit Leidenschaft nachgeht, dann kann das durchaus eine Erfüllung sein. Etwas, das ich auch erst lernen musste.

Nichtsdestotrotz ist das vorhin erwähnte einzigartige Gefühl, welches einen während einer Weitwanderung überkommt, nach wie vor tief in mir. Es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht Fotos meiner Reise ansehe. An dem mir nicht ein flüchtiger Gedanke Momente von Begegnungen und Erlebnissen als Kurzfilm vor meinem inneren Auge abspielt.

Und so beschloss ich als Miniwanderung einen Teil des Jakobsweges von Innsbruck nach Salzburg sozusagen als symbolische Rückkehr zu begehen. Es war schön einige Bilder wiederzuerkennen. Einige Momente vor Ort neu erleben zu dürfen. Aber auch die Qualen wurden wieder in Erinnerung gerufen. Blasen, Erschöpfung und der Wunsch ans Ende der Etappe. Auch das gehört dazu. Es gibt nicht nur schöne Momente, auch die Tiefen sind Teil des Weges. Mein Therapeut hat es einst so schön gesagt: „Das Leben ist wie ein Weg in der Natur. Es ist nicht immer alles flach und gerade. Man muss über Berge und durch Täler. Läuft Serpentinen entlang, durch kühle, weiche Waldwege und über steinige Ebenen in der prallen Sonne.“ Und genau so ist es.

Wann werde ich erneut auf Wanderung gehen? Was bringt die Zukunft? Fragen, auf die ich aktuell ehrlicherweise gar keine Antwort will. Das Leben ist viel spannender, wenn man sich überraschen lässt.