Ein neues Leben

Da wären wir wieder. Ein neuer Anfang. Schon wieder.

Den Titel des Eintrags habe ich gewählt, weil es sich für mich gerade so anfühlt. Reset. Kompletter Neustart. Keine Wohnung, keinen Job, kein Auto und noch immer…. keine Frau 😀

War es das Wert? Auf jeden Fall! Die letzten eineinhalb Jahre waren einfach umwerfend. Wie ich einem Freund bereits geschrieben habe: Geprägt von Abenteuer, Freundschaft und Schönheit, aber auch von Schmerz und viel Schweiß.
Ich möchte diesen Eintrag nutzen um meine Reise gemeinsam mit euch nochmal Revue passieren zu lassen. Dazu müssen wir ganz am Anfang beginnen:

Es war der Sommer 2017 als mir das erste Mal die Idee kam doch eine längere Wanderung zu machen. Das Jahr davor habe ich eine tiefe Sinnkrise durchgemacht, begleitet von Depressionen, die sich in einem Burn-Out geäußert haben. Mir war einfach alles zu viel. Die Ex-Freundin hat geheiratet, zwei gute Freunde sind weggezogen (eh nicht weit!), ein neuer Nachbar, der den Lautstärkenpegel eines Bulldozers erreicht, mehrere Reparaturen an der Wohnung, ein Auto, das langsam alt wird und dann noch dazu die permanente Frage nach dem Sinn des Lebens. Ich habe mich gefangen gefühlt in einem selbst erbauten Käfig. Und dann im Sommer 2017 war es, als hätte ich den Schlüssel gefunden.

Ursprünglich geplant war eine mehrmonatige Wanderung an das Nordkap. Aus dieser Idee wurde sehr schnell sehr viel mehr. Ich kann nicht erklären warum, aber ich hatte das dringende Bedürfnis mich von meinem materiellen Besitz zu trennen. Und es tat so gut, das ganze alte Klumpert wegzugeben. Mit jedem Stück, das den Besitzer wechselte oder im Müll landete, fühlte ich mich eine Spur leichter. Es war so als wären meine negativen Gedanken an all diese Dinge gebunden. Und mit dem Ding verschwindet auch somit auch das Schlechte aus meinem Leben.

Mein Vater hat sich nach anfänglicher Skepsis dazu bereit erklärt administrative Tätigkeiten für mich zu übernehmen. Wie z.B. den Wohnungsverkauf abzuwickeln. Ich weiß gar nicht wie sehr ich ihm dafür danken soll, denn ich kann mir nur schwer vorstellen wie es für ein Elternteil sein muss, wenn das Kind sämtliche Sicherheiten im Leben aufgibt. Zu diesen Sicherheiten zählte übrigens auch mein Job. Nachdem die Trailplanung leicht eskaliert ist und ich mir dachte ich mache einfach ALLE Weitwanderwege, war mir sofort klar, dass mir kein Arbeitgeber, der halbwegs bei Verstand ist, jahrelang Urlaub geben wird. Also blieb mir nichts anderes übrig als zu kündigen.

Danach ging alles sehr schnell und am 27.2.2018 fand ich mich in Campo, Kalifornien, wieder. Dem offiziellen Startpunkt des Pacific Crest Trails. Allerdings sollte es nur ein kurzer Ausflug werden. Denn nach wenigen Tagen schon musste ich mir eingestehen, dass ich nicht nur ungenügend, sondern gar nicht auf eine Wanderung dieser Art vorbereitet war. Komplett erschöpft saß ich eine Woche später wieder im Flieger heimwärts. Am Boden zerstört traute ich mich meinem Vater kaum unter die Augen zu treten. Doch statt einen elterlichen Vortrag über mich ergehen lassen zu müssen, bekam ich Worte des Zuspruchs. „Mach doch erstmal etwas einfacheres. Den Jakobsweg zum Beispiel.“ Für diesen Satz werde ich meinem Vater für immer dankbar sein. Sofort war ich wieder motiviert und am ersten Schönwettertag des Frühlings machte ich mich auf in Richtung Spanien.

Meine erste Etappe am 30.3.2018 bestritt mein Vater mit mir gemeinsam. Ich hatte 14 Kilometer zurückzulegen, vom Norden Wiens bis nach Hütteldorf. Für mich damals noch unglaublich anstrengend (und matschig, aber da hatte ich ja auch noch keine Ahnung was Matsch wirklich ist 😀 ) und mein ganzer Körper war schmerzerfüllt. Schon sehr bald erkannte ich, dass meine Etappenplanung von 30 Kilometer pro Tag absolut utopisch war und ich sagte alle bereits getätigten Reservierungen ab. Und ich wanderte einfach.

Zum Glück hatte ich nur mit einer richtigen Verletzung zu kämpfen, welche aber bereits nach wenigen Tagen wieder abgeheilt war. Meine Knie waren es einfach nicht gewohnt mein damaliges Körpergewicht von 120 Kilo ständig abfedern zu müssen. Der Marsch durch Österreich war etwas ganz besonderes. Man sieht ja viel von seiner Heimat, aber erst bei Schritttempo hatte ich das Gefühl wirklich da gewesen zu sein. Viele Orte, die ich bereits oft mit dem Auto durchfahren habe, konnte ich so neu entdecken.

Über Berge und durch Täler führte mich der Weg in die Schweiz…. noch mehr Berge! Abgesehen von den völlig überzogenen Preisen von einfach allem, traf ich hier erstmals regelmäßig auf andere Pilger. Zwar hatte ich in Österreich auch schon Kontakt mit Gleichgesinnten (z.B. Nadine und Patricia, die ich von Salzburg nach Innsbruck begleiten durfte), allerdings nicht auf einer „daily basis“.
Genau an der Grenze der deutschsprachigen Schweiz zur französischsprachigen Schweiz, nämlich in Freiburg, hatte ich einen kleinen Sinnkrisenrückfall. Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob ich auch das Richtige mache. Eine liebe Freundin hat mich besucht und nach einem gemeinsamen Tag mit viel Plauderei und guten Speisen gings mir gleich deutlich besser. Hoffentlich kann ich diese wertvolle emotionale Unterstützung eines Tages zurückgeben.
Dies sollte aber das einzige Mal bleiben, an der ich die Richtigkeit meiner Entscheidung zu wandern in Frage stellte.

Meine erste Nacht in Frankreich wurde mit einer heftigen Grippe begrüßt. Allerdings deutete ich das nicht als böses Omen, sondern nutzte die Zeit um mich wieder „aufzunetflixen“. Denn als eingefleischter Film- und Serienfreak war das die einzige Annehmlichkeit, welche ich wirklich vermisste.
Persönlich habe ich Frankreich etwas langweilig in Erinnerung. Zumindest den Wanderweg betreffend. Viel Straße und schlechte Feldwege. Aber die Städtchen waren meist ein Hingucker. Und hier in Frankreich war es auch, als ich meinen längsten dauerhaften Weggefährten fand. Martin aus Bayern. Ein absolut untypischer Bayer in meinen Augen. Vegetarier und trinkt kein Bier. Hab‘ dich trotzdem lieb Martin 🙂
Leider musste er mich kurz vor der spanischen Grenze verlassen und ich vermisste ihn sehr (auch noch in Neuseeland!).

Zum Glück habe ich sofort nach Verlassen von Le Puy en Velay, DER Pilgerstadt, eine neue Familie gefunden, mit welcher ich dann letztendlich sogar in Santiago de Compostela einlaufen sollte. Spanien selbst war mir viel zu überlaufen. Je näher ich der Kathedrale kam, desto mehr Pilger waren unterwegs. Bis sich nur noch eine lange durchgehende Schlange die Pfade auf und ab bildete. Vielleicht war das der Grund, weshalb ich mich nie so richtig angekommen fühlte. Weder in Santiago, noch in Finisterre… dem Ende der Welt.

Eilig trat ich die vorübergehende Heimreise an. Denn ich konnte es kaum erwarten eine junge Dame zu treffen, welche ich in Spanien kennengelernt hatte. Wir verstanden uns auf Anhieb gut, aber (ich muss sagen leider) blieb es bei einer Freundschaft.

Nach so langer Wanderung wurde es Zeit für Erholung. Gemeinsam mit meinem ex-Nachbarn habe ich mich eine Woche lang zum Wellnessen abgesetzt. Bevor meine mittlerweile kräftigen Beine weiter wollten. Nur musste ich mich noch gedulden, denn wetterbedingt sollte ich frühestens Mitte Oktober meinen nächsten Trail in Neuseeland starten. Also versuchte ich mich mit einer mehrtägigen Wanderung durch „das Gseis“ in Topform zu halten.

Den Flug buchte ich sehr spontan und auch hier ging alles plötzlich wieder rasend schnell. Schon war ich in Neuseeland und am 14.10.2018 setzte ich meinen Fuß auf den Te Araroa Trail.
Leider regnete es die gesamte Nordinsel über fast jeden Tag. Dennoch war ich gewillt mich durch den neuseeländischen Busch zu kämpfen. Nunja… nicht überall. Einige Matschabschnitte habe ich umgangen oder gleich ganz übersprungen. Apropos springen… ja, ich bin eine Klippe runtergesprungen… naja eher gefallen. Wer springt schon absichtlich eine Klippe runter 😀 Eine etwa 15 Zentimeter lange Narbe am Schienbein wird mich für immer an diesen Trip erinnern. Ich trage sie mit stolz.
Auf der Südinsel fühlte ich mich das erste Mal wirklich total frei. Keine Menschenseele über hunderte von Kilometern. So gern ich diese Gefühle auch beschreiben will, vermutlich wäre es in den malerischten Worten nur ein Bruchteil dessen was ich vermitteln möchte.

Neuseeland war unglaublich hart. Kaum markierte Wege, welche durch brusthohes Gras auch aus der Ferne nicht zu sehen waren. Hüfthoher Schlamm. Gefühlt senkrecht auf und ab führende Pfade. Hunderte, wenn nicht tausende, Flussquerungen. Aber jede Anstrengung wurde mit lebensverändernden Ausblicken belohnt. Ich würde auch so gerne alle meine Abenteuer schildern, aber ich glaube dafür bräuchte es ein Buch.

Nachträglich betrachtet war es trotz der teilweise lebensgefährlichen Wege eine unvergessliche Erfahrung, welche ich bereits jetzt schon vermisse. Der Te Araroa Trail wird für mich auf immer und ewig DER Maßstab sein, mit dem ich andere Wanderwege vergleiche.
Die Trennung von Neuseeland fiel mir besonders schwer. Glücklicherweise hat mich Christian auf gemeinsame Ausflüge mitgenommen, während wir auf unsere Flüge warteten. Für ihn ging es zurück nach Deutschland, für mich weiter nach Amerika.

Erwartungsvoll stand ich am 9.3.2019 dort, wo ich bereits ein Jahr zuvor gestanden hatte… dem Startpunkt des Pacific Crest Trails in Campo, Kalifornien. Es war äußerst interessant zu sehen wie locker ich den Weg durchkam, welchen ich noch vor wenigen Monaten als „sehr schwierig“ beschrieben hatte. Dank des hohen Niederschlags gab es überall in der Wüste reichlich Wasser. Lediglich die vielen Nächte im Minusbereich waren ein kleiner Dämpfer.
Hohen Niederschlag gab es auch im Hochgebirge Kaliforniens, der Sierra Nevada. Meine tägliche Etappe war begleitet von Sorge um den langen Winter dort gepaart mit meinen rasch schwindenden finanziellen Mitteln. Eine gravierende Fehlentscheidung hat einen Großteils meines Kapitals verpuffen lassen.
Nach und nach kam zudem das Gefühl bzw. der Gedanke auf „eigentlich bin ich jetzt fertig“. So ein bisschen wie bei „Forrest Gump“ als er jahrelang läuft und dann einfach umdreht und nach Hause geht.
Erst versuchte ich die Wanderlaune noch zu retten indem ich auf den Appalachian Trail wechselte, mehr als eine zweiwöchige Tour wurde aber letztendlich nicht daraus, ehe ich meine endgültige Heimreise antrat.

Aber geht das? Kann man „einfach so“ fertig sein mit wandern? Ich kann diese Frage auch jetzt nicht beantworten. Mir hat diese Auszeit sehr geholfen um zu erkennen in welche Richtung ich mein Leben leben will. Beziehungsweise auch zu erkennen was ich eben nicht will. Somit bin ich ohne schlechtes Gewissen wieder bei den Eltern eingezogen. Denn… wie bereits zu Beginn erwähnt… keine Wohnung, kein Job… und NOCH IMMER keine Frau im Leben.

Natürlich ist mir leid um meine Wohnung, welche ich verkauft habe, aber ohne dieses Geld wäre die Reise erst gar nicht möglich gewesen. Und wenn alles gut geht, dann ziehe ich schon bald auf der anderen Straßenseite meiner ex-Wohnung ein, auch wenn es diesmal nur zur Miete ist.

Viel interessanter ist die Tatsache, dass mir nach der Heimkehr umgehend aufgefallen ist, was mich an meinem „alten“ Leben gestört hat. Ich fühlte mich sofort alleine. Niemanden mit dem ich reden kann, niemanden für abendliche Unternehmungen und als es mir nicht gelang über 2 Tage hinweg jemanden zu finden, der mit mir ins Kino geht, spürte ich Ansätze der entflohenen Einsamkeit. Auf den Trails war man ständig von Gleichgesinnten umgeben und man fühlte sich immer als Teil einer Gruppe. Es ist schwer sich wieder an die städtische Anonymität zu gewöhnen.
Und jetzt? Ich mache keinen Hehl daraus… ich bin auf Brautschau! Erstmals seit mehr als 10 Jahren bin ich es leid alleine zu sein. Zu zweit macht das Leben doch viel mehr Spaß. Aber wer will schon einen arbeits- und obdachlosen Vagabund? Tja, das müssen wir wohl klären bevor ich mich in Schale werfe 🙂