Die Leichtigkeit des Seins

Manchmal ist es schwer einfach nur zu existieren. Jemand, der noch nie unter einer Depression gelitten hat, kann das kaum nachvollziehen. Wie einige von euch wissen, habe ich diese Erfahrung machen müssen und war eine Zeit lang fertig mit den Nerven. Durch Medikation und, viel wichtiger, das Erkennen, dass man ein Problem hat, habe ich vieles in meinem Leben geändert. Was dann letztendlich in meiner Reise gipfelte.
Die Reise selbst war weder ein Selbstfindungstrip, noch ein Depressionsauslebungsmarsch. Vielmehr war das etwas, was ich schon länger machen wollte und in meiner gewonnen Selbsterkenntnis der Dinge, habe ich mich dann dazu entschlossen „es“ durchzuziehen.

So ein langer Marsch verändert einen in vieler Hinsicht. Früher fristete ich ein Einsiedlerdasein und jetzt halte ich es alleine kaum mehr aus. Ich gewann viel Mut. Mut neue Dinge zu tun, einfach mal „Ja“ zu sagen. Sich in unbekannte Gefilde zu wagen und Sachen zu probieren, über welche ich früher nicht einmal gewagt hätte nachzudenken. Vorallem die neugewonnene Spontanität hat mir völlig neue Seiten eröffnet. Machen statt denken.

Nur… nunja… wenn man auf dem Trail ist, dann lebt sich dieser Stil recht einfach. Man macht die Dinge. Langsam werde ich wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt, dass das in zivilisierter Gesellschaft gar nicht so einfach ist. Man wundert sich über die klaren Strukturen, das Sicherheitsverlangen der Menschen und vorallem die blinde Akzeptanz von Regeln. Denn es gibt sehr viele Regeln in unserer Gesellschaft. All diese Regeln existieren „da draussen“ nicht. Es ist, als wäre man in einer anderen Welt.
Mit der Rückkehr muss man sich wieder einordnen und erneut seinen Platz finden. Nach der gelebten Freiheit ist das gar nicht so einfach. Im Hikermilieu gibt es ein Wort dafür: post-trail depression. Also Depression nach dem Trail.
Jetzt bin ich doch schon wieder einen Monat im Lande und ich dachte es bliebe mir erspart. Nach und nach, machen sich aber die Symptome bemerkbar. Die permanenten Rückschläge in der Job- und Wohnungssuche hinterlassen ihre Spuren.
Nicht, dass es mir schlecht gehen würde, aber durch jeden dieser Rückschläge, wird mein Enttäuschungssäckchen ein kleines Stück schwerer. Und wenn man jeden Tag schwer schleppen muss, dann geht das irgendwann aufs Gemüt. 

An dieser Stelle möchte ich mich bei meinen Freunde bedanken, welche mich mit offenen Armen empfangen, wenn ich mal jemanden zum Reden brauche, oder einfach nur stillschweigend nebeneinander sitzend, mit mir einen Spritzer trinken. Denn es fällt schwer, wieder von „alles ist möglich“ auf „ich muss das tun was andere sagen“ umzustellen.
An manchen Tagen will ich sofort wieder den Rucksack packen und in den nächsten Flieger steigen. Ja, das wäre ein erneutes Davonlaufen, weshalb ich versuche mich darauf zu fokussieren schnellstmöglich wieder eine Routine in meinen Alltag zu bekommen. Nicht umsonst habe ich bereits am Tag nach meiner Ankunft erste Bewerbungen verschickt.

Apropos Bewerbungen. Leider habe ich für alle Jobs, auf die ich mich gefreut hätte, Absagen erhalten. Wer weiß wofür es gut ist, vielleicht tun sich ja anderen Türen auf.
Was mich jedoch wirklich traurig stimmt ist, dass ich nach langer Suche zwei Wohnungen gefunden hätte, welche mir sehr gut gefielen, ich aber aufgrund mangelnder Gehaltszettel abgewiesen wurde.

Zurück zum Thema. Diesem Eintrag habe ich den Titel „Die Leichtigkeit des Seins“ verliehen, denn genau so würde ich beschreiben wie es sich anfühlt auf dem Trail zu sein. Man existiert einfach. Klar gibt es Situationen, auf welche man jetzt nicht so unbedingt Bock hat. Wenns mal wieder wie aus Kübeln gießt oder man ewig durch Schnee stapfen muss. Im Großen und Ganzen jedoch wird man äußerst selten dazu gezwungen lebensverändernde Entscheidungen zu treffen. Und jetzt plötzlich sitze ich wieder hier, muss mich bei Wohnungen auf mehrere Jahre binden, potentielle Arbeitgeber erwarten, dass ich bis an mein Lebensende in der Firma bleibe und ich selbst denke bereits wieder in Dekaden und nicht mehr in Tagen.
Schöne Zeiten waren es, an denen die schwierigste Entscheidung war, was man in vier Tagen essen möchte. Mittlerweile macht sich Ernüchterung und Resignation bereit.

„Leider können wir Ihnen diesen Job nicht anbieten.“
„Der Eigentümer hat sich für einen anderen Mieter entschieden“

Mir ist klar, dass Entscheidungsträger einen gewissen Grad an Sicherheit verlangen. Für mich jedoch fühlt es sich so an, als würde mir die Entscheidungsgewalt über mein eigenes Leben entrissen. Eigene Handlungen werden unbedeutend. Am Trail ist man eine große Familie, hier plötzlich nur noch eine unbedeutende Nummer.
Das ist es, was die post-trail depression ausmacht. Man fühlt sich in der Zivilisation plötzlich komplett unbedeutend. Einziger Zufluchtsort sind Gruppen und Chats, wo man sich nach wie vor mit Gleichgesinnten austauschen kann. Menschen, welche die gleiche Erfahrungen gemacht haben. Welche mitfühlen können, wenn an von einem Track mit hüfthohem Schlamm spricht, welche wissen, wie sich reale Lebensangst anfühlt, wenn man sich an einer Felswand entlang drückt und hunderte Meter in die Tiefe blickt. Welche wissen, wie es ist, sich fremd in der Welt zu fühlen.

Vielleicht sollte ich alles nicht so eng sehen und genauso wie auf der Reise, die Dinge einfach auf mich zukommen lassen. Manchmal vernebeln einem die eigenen Gedanken eine klare und objektive Sicht. Weniger denken, mehr machen. Jetzt kann ich die Chance nutzen und meinen Erfahrungsgewinn in eine neue Lebenssituation mit einbringen. Wenn ich eines gelernt habe, dann dass kaum eine Entscheidung endgültig und kaum eine Hürde unüberwindbar ist. Zu erkennen, dass der metaphorische Käfig unserer Gesellschaft nur Schall und Rauch ist. Einen gewissen Grad an Unbeschwertheit beizubehalten. Unbeschwert. Ein schönes Wort. Wer unbeschwert ist, hat es leicht. Und möglicherweise reicht das ja schon, um die Leichtigkeit des Seins zu entdecken.