Eine Runde um den Ötscher

Mein Alltag hat sich extrem beruhigt. Die Wohnungs- und Jobsuche ist erfolgreich abgeschlossen, die Übersiedlung ist mehr oder weniger abgehakt und fast alles organisatorische ist auch schon erledigt.
Und während ich in meinem neuen zu Hause herumsitze und ich mich hervorragend an die Fernsehabstinenz gewöhnt habe, beginne ich das Wandern zu vermissen. Die Einsamkeit in der Natur, raus aus der Stadt. So plane ich eine kleine Mehrtageswanderung. Meine ursprüngliche Idee, den Luchs-Trail nochmal zu machen, habe ich wetterbedingt rasch wieder verworfen. Fast jeden Tag ist Regen angesagt. Deshalb soll es eine kleine Runde werden. Maximal vier Tage.
Die Recherche beginnt und schon bald sticht mir eine Ötschertour ins Auge. Es gibt verschiedene „vorgefertigte“ Routen, aber ich möchte gerne mein eigenes Ding machen und stelle mir auf meiner supertollen App, die ich von Anfang an verwende (Locus Map Pro), die Route zusammen.

Die Idee war spontan und das Zeitfenster ist klein, und so sitze ich am nächsten Tag auch schon im Auto. Als Startpunkt habe ich mir den Bahnhof Laubenbachmühle ausgesucht. Gute Parkmöglichkeit, leicht zu erreichen und bietet sich ideal für eine Runde um den Ötscher an.

Natürlich wollte ich ausschlafen und habe mir entsprechend Zeit gelassen. Nach knapp zwei Stunden fahrt, komme ich um ca. 13 Uhr am Bahnhof an. Eigentlich will ich nicht ganz so weit gehen, sollte also locker reichen.

Für diese Wanderung habe ich meinen ZPacks Rucksack ausgepackt. Ich möchte versuchen so leicht es geht unterwegs zu sein. Mit 5,2 Kilo Basisgewicht (gesamte Ausrüstung, exklusive Wasser und Futter), habe ich das leichteste Setup, welches ich jemals zusammengestellt habe. Mit Nahrung für 4 Tage und 2 Liter Wasser, komme ich auf 9,7 Kilo. Und das obwohl ich die Hartschaumstoffmatte mitschleppe, denn ich plane im Wald zu schlafen. Wild zelten ist in Niederösterreich leider ausnahmslos verboten, eigentlich darf man auch nicht unter freiem Himmel im Wald schlafen, aber irgendwo muss ich ja nächtigen.

Also Rucksack umgeschnallt und losmarschiert. Es geht durchgehend bergauf, aber nie wirklich steil. Eigentlich wundert es mich wie locker ich den ersten Teil des Weges wegstecke. Die meiste Zeit ist es aber eher gemütliches spazieren Gehen, auch wenn der Rucksack schwerer wirkt, als er eigentlich ist. Lange Zeit folge ich Asphalt- und Forststraßen, ehe ich den höchsten Punkt des Tages erreich habe.
Das Almhaus Hochbärneck sollte eigentlich meine erste Rast werden. Schließlich habe ich den ganzen Tag noch nichts gegessen. Leider wird aber anscheinend gerade für ein Fest vorbereitet. Rund um das Almhaus hämmern, bohren und sägen fleißige Werker. Nicht wirklich gemütlich. Ein kurzer check auf meiner Karte zeigt mir, dass es am Fuße des Ötschers einen Campingplatz gibt. Ich erklimme einen Aussichtspunkt, um mit dem nötigsten an Handyempfang die Telefonnummer rauszusuchen. Denn eigentlich wollte ich ja im Wald schlafen, aber ich habe immer so ein furchtbar schlechtes Gewissen, wenn ich etwas halblegales mache, deshalb würde ich den Campingplatz ansteuern, sofern es die Zeit zulässt. Bis 21 Uhr darf ich eintrudeln, eine Parzelle wird für mich reserviert. Sehr fein. Da ich ja eigentlich nicht so weit gehen wollte, habe ich mir das Gelände für den nächsten Abschnitt noch gar nicht angesehen. Ich weiß nur, dass es nochmal etwa 15 Kilometer sind. Es ist gerade 16 Uhr, na das wird doch wohl zu schaffen sein.

Die Ernüchterung kommt schnell. Laut Karte geht es jetzt steil bergab ins Tal und dann auf der anderen Seite wieder auf den Berg hinauf. Uff. Zwar bin ich bis jetzt ziemlich gut durchgekommen, aber ich spüre deutlich, dass sich meine antrainierte Wanderfitness in den letzten drei Monaten verflüchtigt hat. Nutzt nichts, was muss, das muss. Also suche ich den Pfad, welcher mich den Berg runter bringen soll. Tja, der Betreiber des Almhauses hat für das bevorstehende Event schon alles eingezäunt… mit Elektrozaun. Ich suche mir eine niedrige Stelle und versuche mich einem großen Schritt drüber zu steigen. BRRRZZZZZZZZ. Mein bestes Stück hat einen Schlag abbekommen. Fühlt sich weniger erregend an als erhofft, aber auch nicht so schmerzhaft wie erwartet. Hurtig den Berg hinunter. Schlamm auf dem kiesigen Pfad lässt die nächsten Kilometer zu einer interessanten Rutschpartie werden. Wobei das „interessant“ keineswegs sarkastisch gemeint es. Ich hatte wirklich Spaß dabei!

Den Ötscher immer im Blick

Im engen Erlauftal angekommen, gönne ich mir eine ausgiebige Pause. Wurst/Käse Wraps und ein Snickers bauen mich wieder auf. Außerdem freue ich mich auf eine Tropfsteinhöhle, die am Weg liegen soll. Leider werde ich schnell enttäuscht. Statt des beschilderten „Abenteuersteiges“, werde ich auf eine Straße umgeleitet. Der Weg zur Tropfsteinhöhle ist gesperrt. Macht aber nicht so viel, denn wie ich feststellen musste, ist diese Höhle nur zu bestimmten Zeiten zugänglich… und ich bin ohnehin zu spät dran.
Die neuerlichen Höhenmeter, wenn auch sehr einfach, da Straße, machen mich ziemlich fertig. Ein weiterer Check auf der Karte sagt mir, dass ich bald in einen Wald kommen muss. Vielleicht kann ich ja dort schon mein Lager aufschlagen, mir geht langsam die Kraft aus.

Als ich den Wald betreten will, prangt mir ein Schild entgegen. „Betreten wegen Forstarbeiten verboten.“ Oh Gott. Es gibt aber keinen Weg um drum herum zu gehen. Tja, da muss ich jetzt wohl durch. Außerdem ist es schon 19 Uhr, da wird doch wohl nicht mehr gearbeitet werden? Falsch gedacht. Schweres Gerät rauscht zwischen den Bäumen hin und her. Hier will ich definitiv nicht schlafen. Und gesehen werden auch nicht. Also eile ich flotten Schrittes voran um mich den Blicken der Forstarbeiter zu entziehen.

Allmählich geht es leicht bergab, was bedeutet, dass ich meinem Ziel schon sehr nahe sein muss. Beim Forsthaus Raneck verlasse ich den Wald und wundere mich kurz über die Pseudoidylle. „Das Forsthaus“ besteht nämlich aus mehreren Objekten, welche zu Ferienhäusern umgebaut wurden. Der geparkte Jaguar spricht eigentlich schon Bände. Das Hauptgebäude, also das eigentliche Forsthaus, ist aber durchaus imposant und hätte eine gute Kulisse als „Forsthaus Falkenau“ abgegeben 😀

Das Forsthaus Raneck

Recht ordinär breitet sich die Ötscherwiese vor mir aus. Ich hätte mir deutlich mehr Idylle erwartet. Ein typischer Wohnblock, wie man die 60iger Bauten aus Wien kennt, dominiert das Ortsbild. Aber für Ästhetik habe ich kein Auge mehr, ich will nur noch in die Heia.

Der Dorfwirt führt mich zu meiner Parzelle und ich beginne sofort das Zelt aufzubauen. Er fragt mich, ob ich noch was essen möchte, aber vor lauter Anstrengung ist mir im wahrsten Sinne des Wortes der Appetit vergangen.
Wenn sich doch nur da Zelt aufbauen ließe! Also aufgebaut wars schnell, aber ich komme nicht hinein 😀 Der Zip ist offenbar angerostet und lässt sich nicht öffnen. Mit ein bisschen Wasser lässt sich aber auch dieses Problem lösen und schwuppdiwupp lieg ich schon im Zelt. Zum Glück habe ich meinen Herbstschlafsack eingepackt, denn für heute Nacht sind 4 Grad angesagt. Die hohe Luftfeuchtigkeit macht es gefühlt noch kälter. Sicherheitshalber lege ich die Regenjacke auf den Schlafsack, um zu verhindern, dass sich Kondenswasser auf der Oberfläche bildet. Denn sobald die Daunenfedern nass werden, ist es nicht mehr ganz so lustig 😀

 

Tag 2

Im Zelt steht das Wasser. Es hat so schlimm kondensiert, dass wirklich alles nass ist. Also wenn ich eines nicht vermisst habe, dann war es in der Früh nasse Sachen anzuziehen. Das pitschnasse Zelt wiegt mindestens einen Kilo mehr und lässt sich kaum in den Stausack zwängen. Abgesehen davon schmerzt jeder einzelne Muskel meines Körpers. Ich hätte echt nicht gedacht, dass ich dermaßen wanderentwöhnt bin.
Wieder einmal fühle ich mich in der Meinung bestätigt, dass es sich mit dem Wandern genauso wie mit dem Kinder bekommen verhält. Währenddessen fragt man sich warum sich den Käse überhaupt erst eingebrockt hat, aber sobald etwas Zeit verstrichen ist, denkt man sich, dass es ja gar nicht soooooo schlimm war. 

Jedenfalls soll mich der Weg um den Ötscher herum führen. Natürlich denke ich schon seit gestern darüber nach auch auf den Gipfel rauf zu gehen, wenn ich schon mal da bin. Auf der anderen Seite würde ich das erste Mal Ötscher gerne über die Rauhe Wand machen und nicht über den Normalweg. Naja, mal sehen wie es geht…

… es geht gar nicht. Ich komme schon kaum die ersten Höhenmeter hinauf! Herrje, wie schlimm steht es denn um mich bitte? Mit Müh und Not kämpfe ich mich über die Riffelabfahrt den Sattel hinauf. Die Idee mit dem Gipfel habe ich schnell wieder verworfen. Ich bin ja schon froh, wenn ich den heutigen Tag irgendwie überlebe! Nach dem Riffelsattel wird das Gelände zunehmend technischer. Nicht besonders anspruchsvoll, aber eben kein „normaler Pfad“ mehr. Spaßhalber denke ich mir noch „eigentlich fehlt jetzt nur noch eine seilversicherte Stelle.“ Und zack, ums nächste Eck kommt sie auch schon. Vermutlich wäre es auch ohne Seil gegangen, aber ich bin ganz froh, dass ich etwas zum Anhalten habe.

Nachdem mich eine Gruppe von vier Pensionisten überholt hat, entscheide ich mich auf einer kleinen Wiese ein kurzes Päuschen zu machen. Ich bin unglaublich durstig und trinke meinen gesamten Wasservorrat aus. Vielleicht nicht die beste Entscheidung, aber absolut notwendig zu diesem Zeitpunkt.

Langsam geht es weiter zur Feldwiesalm. Der Weg wird uriger und meine sperrige Hartschaumstoffmatte bleibt ständig an Zweigen und Ästen hängen. Glaube die nehme ich nicht mehr mit. Wirklich gebrauchen konnte ich sie nicht, aber ich wollte sie unbedingt einmal ausprobieren. Auf der Feldwiesalm angekommen, gewähre ich mir eine medizinische Notversorgung in Form einiger Spritzweine um wieder zu Kräften zu kommen. Eine Kaaspressknödelsuppe tut ihr übriges.

Mein Tagesziel war eigentlich das Terzerhaus, aber ich habe mich spontan dazu entschieden einen „Sagenwanderweg“ zu nehmen und heute schon zum Erlaufsee abzusteigen. Laut Karte existiert eine Abkürzung zu besagtem Wanderweg, welche mir einige Höhenmeter erspart. Verzweifelt suche ich den Verbindungsweg, kann ihn aber nicht finden. Verdammt. Jetzt entgeht mir nicht nur der Sagenwanderweg, sondern ich habe auch noch einige Extrakilometer bis zum Erlaufsee. Dort wollte ich eigentlich zelten und morgen dann nach Mariazell gehen. Aber es zieht komplett zu und Regen steht unmittelbar bevor. Nicht so toll, denn mein Zelt ist immer noch pitschnass und inzwischen hat sich das Wasser auch schon schön im Rucksack verteilt und rinnt mir den Hintern runter.

Eigentlich… jetzt habe ich gestern schon mehr Kilometer gemacht als ich wollte, heute auch schon mehr Kilometer gemacht als geplant… da kann ich dann eigentlich auch gleich nach Mariazell gehen und die Runde an 2, statt wie ursprünglich geplant 4, Tagen abschließen. Bis nach Mariazell ist es zwar fast flach, aber trotzdem erinnert mein Fortbewegungsstil eher an den schleppenden Zombieschritt aus Wallking Dead.
Zeit zur Stadtbesichtigung bleibt mir keine mehr, denn beeile mich gerade um den letzten Zug des Tages zurück zum Auto zu erwischen. Dementsprechend gehe ich nicht nur kraftlos, sondern auch pausenlos, seit Stunden immer voran.

Der Bahnhof Mariazell ist in Sichtweite als es zu regnen beginnt. Ich bin wirklich heilfroh mich entschieden zu haben durchzubeißen. Sonst würde ich jetzt am Erlaufsee im Regen in einem nassen Zelt liegen. Zwanzig Minuten vor Abfahrt bin ich am Bahnhof. Komplett fertig. Ich habe mich einfach übernommen. Wie so oft, wenn ich wandern bin. Ich wills halt einfach wissen 😀

Der Ausflug wird mit einer Fahrt in der Mariazeller Bahn abgeschlossen.

Die Mariazeller Bahn bringt mich zurück zum Bahnhof Laubenbachmühle, wo ich sofort meine Ersatzkleidung aus dem Kofferraum fische und mich der durchgeschwitzten Sachen entledige.
Die Fahrt selbst ist durchaus auch ein Erlebnis. Obwohl es durch den Regen etwas diesig ist, wacht der Ötscher ruhig und anmutig im Sonnenuntergang über die umliegenden Wälder. Eines steht fest… ich komme wieder. Und dann mit Gipfelsturm!