Jakobsweg Tag 101: Von Gelsendippeln, unheimlichen Schutzpatronen und nicht ganz so jungfräulichen Jungfrauen

Espalais – Lectoure (ca. 34 Kilometer)

Anders als man vom Titel rückschließen könnte, war das heute eigentlich ein verhältnismäßig ereignisloser, wenn auch anstrengender, Tag. Aber eins nach dem Anderen.

Die Temperatur in der Nacht war sehr angenehmen. Vielleicht eine Spur zu warm, aber so gegen 2 Uhr herum genau im Wohlfühlbereich. Hat mit gefallen im Garten zu zelten 😀 Leider gab es in der Nähe eine Veranstaltung, die bis in die Morgenstunden für lärm sorgte. Irgendwann habe ich mir dann einfach wieder Musik aufgedreht, dann gings 🙂

Seit ein paar Tagen gibt es hier in der Gegend massiv viele Gelsen. Alle Pilger sind total zerstochen und permanent am Kratzen 😀 Für euch habe ich mal angefangen zu zählen… 11 Gelsendippel allein am linken Fuß unterhalb des Knies.

Gegen 8 brechen Martin und ich auf. Wir haben gestern schon ein Bed and Breakfast in Lectoure gebucht, damit wir auch einen Grund haben mal wirklich voran zungehen. Beide sind wir gerade etwas zu sehr im Pilgerflow der ganzen anderen Wochenpilger, die meistens nur kurze Etappen machen. Wieder versuche ich mit Martin Schritt zu halten, im Gegenzug ziehen wie meinen Pausenrhytmus durch. Viele der Wochenpilger hatten gestern bzw. heute ihren letzten Pilgertag (unter anderem auch Florine und Melissa), wodurch wir uns permanent von bekannten Gesichtern trennen müssen, wenn wir sie in einer Stadt treffen, wo wir Pause machen, für sie aber endgültig Schluss ist.

Die Zeit scheint wie im Flug zu vergehen. Wir unterhalten uns ausgezeichnet. Auch der Weg ist nicht sonderlich anspruchsvoll. Nur der fehlende Schatten macht uns etwas zu schaffen. Das Positive daran: Alle Pilger, die ich bis jetzt getroffen habe, die bereits in Spanien waren, sind sich einig… schlimmer wirds auch in Spanien nicht. Im Gegenteil, in jedem Ort gibt es dutzende Bars, wo man sich ein kühles Bi…. ähhh Erfrischungsgetränk genehmigen kann.

Nach etwa 23 Kilometern machen wir eine lange Pause. Die letzten 11 Kilometer wollen wir zügiger angehen, da sollten wir erholt sein. Während ich auf dem letzten Stück wirklich sehr kämpfe, scheint Martin die Sonne überhaupt nicht zu stören. Lediglich die Gelsen werden ihm auch etwas lästig.

Wir erreichen etwas marktstandähnliches, wo es laut Tafeln kühle Erfrischungsgetränke geben soll. Allerdings wirkt das ganze, aus mehreren Hütten bestehende, Gebilde ziemlich verlassen. Überall liegt Mist rum, aber doch scheinen ein paar Leute in einer der Hütten zu sein (wenn nicht sogar zu wohnen). Uns ist dieser Komplex, welcher direkt an einer Schnellstraße liegt, nicht sehr geheuer und wir gehen ohne Halt zu machen weiter. Plötzlich rennt ein älterer Herr aus einer der Hütten heraus und uns wild fuchtelnd hinterher. Tief in mir kriecht der Fluchtreflex hoch, doch die Neugier siegt. Er wollte uns lediglich darauf hinweisen, dass wir in die falsche Richtung gehen. Tatsächlich, wir haben den am Boden liegenden Wegweiser (umgefahren?) falsch gelesen. Da scheint der Verkaufsstand gleich weniger gruslig, trotzdem verzichten wir auf eine Pause.

Ein Fehler. Ich hätte dringend eine Pause brauchen können. Mit einem leicht sudernden Unterton bringe ich Martin dazu, dass wir uns doch kurz in den Schatten setzen. Da meldet sich auch der tschechische Martin, ob wir in der Gegend von Moissac seien. Hä? Wie konnte er so weit zurückfallen frage ich ihn. Er hat eine französische Pilgerin, die er vor einiger Zeit kennen gelernt hat, bei ihr zuhause besucht. Der Glückliche, schirch war sie nicht.

Schließlich erreichen wir dann Lectoure und begeben uns zu unserer Unterkunft. Wir bekommen nicht wie gebucht zwei Einzelbetten, sondern ein Doppelbett. Nicht so schlimm, wir zwei kennen uns ja schon 🙂 Als ich Martin heute unterwegs das Versprechen abnahm auch nach dem Camino in Kontakt zu bleiben, sagte er: „Auf jeden Fall, ich ging schon davon aus, dass wir jetzt so etwas wie den Status „Freundschaft“ erreicht haben.“ … Ich habe einen neuen Freund!

Die Besitzerin empfängt uns sehr herzlich mit Erfrischungsgetränken. Es sind auch zwei andere Pilgerinnen im B&B, wovon wir eine bereits kennen. Für beide ist es heute der letzte Tag am Camino. Noch bevor wir unsere Rucksäcke auspacken können, werden wir von ihnen mit einem Abendessen überrascht. Die uns unbekannt Pilgerin gibt sich erst als unschuldige Jungfrau, hat es aber faustdick hinter den Ohren. Martin und ich sind uns einig, dass sie definitiv auf der Suche nach „Abenteurn“ ist. Da verziehe ich mich aufs Zimmer, mir wird das bisschen zu brenzlig 😀

Ich bin komplett „gegelsendippelt“. Einige schon blutig aufgekratzt, Pflastere ich mal sicherheitshalber zu. Ein Dippel am Daumen hat den Finger anschwellen lassen und tut ein bisschen weh. Die anderen 328 jucken nur.

So, dann kuschel ich mich mal zu Martin ins Ehebett. Gute Nacht 🙂