Jakobsweg Tag 129: Fanpost

Hontanas – Boadilla del Camino (ca. 28 Kilometer)

Bevor ich auf meinen Tag eingehe, möchte ich gerne etwas loswerden. Zuerst einmal danke für alle Gästebucheinträge für die ich mich noch nicht bedankt habe. Und auch danke für die mittlerweile regelmäßig eintreffenden E-Mails. Ich bin bemüht auf alle Mails zu antworten und hoffe sehr, dass mir niemand durchgerutscht ist.

Heute habe ich ein Mail von Silke bekommen. Ihr erinnert euch an Silke und Hartmut, das nette deutsche Ehepaar, welches ich bei unserem ersten Treffen, gemeinsam mit den Südafrikanern, verteufelt habe? Uh, apropos Südafrikaner. Der Mann der Paares war der Bruder des Produzenten von „Die Antwoord“. Die machen etwas verrückte Musik, sind aber in mehreren Ländern sehr bekannt. Sie erzählten die Story, wie es zum Lied „I fink u freeky“ kam. Soweit ich mich erinnern kann war es so, dass die beiden von „Die Antwoord“ bei dem Paar zu besuch waren, während auch eine Nichte des Paares anwesend war. Das Erscheinungsbild der Sänger von „Die Antwoord“ ist… nun sagen wir mal… gewöhnungsbedürftig. Als besagte Nichte, welche zu diesem Zeitpunkt noch im Kindergartenalter war, die beiden das erste Mal sah, sagte sie „I fink you freeky but I like you a lot.“ Und so war ein Song geboren 🙂 Wenn ihr die nicht kennt, schaut mal auf Youtube rein. Ein weiteres bekanntes Lied ist „Enter the Ninja“, welches im Abspann des Filmes „Chappie“ lief, wodurch die Bekanntheit der Band internationale Ausmaße erreichte. Beide Sänger von „Die Antwoord“ hatten übrigens auch tragende Rollen in diesem Film.

Ups, Faden verloren. Wo war ich? Achja, Silke und Hartmut. Obwohl ich ja, in meiner ersten Beschreibung der beiden, nicht gerade zurückhaltend war, hat mir Silke mitgeteilt, dass sie trotzdem ab und zu bei einem Blog vorbeischauen. Das freut mich sehr! Aber da ist noch mehr. Ferner hat sie sich die Mühe gemacht mir ein umfangreiches Feedback zu meinem Erzählstil zu geben. Er ist langweilig! So hart hat sie es freilich nicht formuliert, aber im Kern hat sie recht. Oft verliere ich mich in dem für euch eher unwesentlichen  Tagesablauf und vergesse auf die entscheidenden Details einzugehen. Vermutlich hat sich das bei mir so eingebürgert, weil der Blog ja ursprünglich mehr so etwas wie ein Tagebuch für mich selbst war und ich ehrlich gesagt nicht damit gerechnet habe jemals so viele Menschen für mein Abenteuer begeistern zu können. Bis zu 200 Leser hat der Blog mittlerweile an manchen Tagen. Ich glaube ich habe da ein bisschen den Anschluss verloren und möchte zukünftig mehr auf die Menschen eingehen, die ich getroffen, die Emotionen die ich gefühlt und die Gedanken die ich gedacht habe. Das bietet nicht nur euch, meinen treuen Lesern, einen Mehrwert, sondern hilft mir sicher auch mich besser erinnern zu können. Ganz werde ich nicht auf die langweiligen Passsgen verzichten, ich brauche das für mich um mich wieder in den jeweiligen Tag hineinversetzen zu können. Nochmal herzlichen Dank Silke, dass du dir die Zeit genommen hast ein umfangreiches Feedback zu schreiben. Immerhin will ich euch allen ja ein bisschen Camino-Feeling vermitteln.

Danke für eure Aufmerksamkeit, Vorwort Ende 😀

Zum heutigen Tag. Ich kann es kaum glauben. Tatsächlich stehe ich um 4:30 Uhr habt acht. Mit aller Vorsicht packe ich behutsam meinen Rucksack. Die Wände sind sehr dünn und rücksichtsvoll wie ich nunmal bin, will ich niemanden aufwecken. Auf Zehenspitzen schleiche ich die Stufen runter. Ok, das war gelogen. Aufgrund der langen einseitigen Belastung kann ich meine Zehen mittlerweile fast nicht mehr abbiegen. Keine Sorge, habe mich bereits erkundigt, das ist normal. Manchmal dehne ich meine Zehen, damit die Sehnen nicht ganz verkümmern 😀

Weil der ganze Ort nur aus wenigen Häusern besteht, bei denen es sich fast ausschließlich um Herbergen, Bars und Restaurants handelt, bin ich nach nur wenigen Schritten der allumfassenden Dunkelheit ausgeliefert. Es macht zwar viel Spaß im Dunkeln zu gehen, ist aber auch anstrengend, da man Unebenheiten im Boden kaum ausmachen kann. Bald geht es aber auf Asphalt weiter, wodurch ich mich nicht weiter konzentrieren muss und ich mich nun wieder voll und ganz Hape Kerkeling ergeben kann, der mir von seiner Reise auf dem Camino vorliest. Übrigens habe ich eine Dame überholt, welche auch schon unterwegs war. Schön zu sehen, dass es noch andere Verrückte mit Stirnlampe da draussen gibt 😀

Plötzlich taucht wie aus dem Nichts, mitten auf der Straße, ein riesiges Gebilde vor mir auf. Es ist nach wie vor stockdunkel und die Reichweite der Lampe beschränkt. Bei genauerer Betrachtung kann ich es erkennen: eine verfallene Kathedrale und die Straße führt mitten durch! Schade, dass ich nicht den vollen Ausmaß des Komplexes erkennen kann. In der Nacht zu wandern hat eben auch Nachteile.

Ich erreiche den ersten Ort des Tages, Castrojeriz. Hier in der Meseta sind die Ortschaften eher spärlich gesät. Vergleichbar mit Frankreich, wo man auch nur etwa alle 10-20 Kilometer durch Zivilisation kommt, aber untypisch für den spanischen Camino. Deshalb lege ich eine kurze Frühstückspause ein. Castrojeriz unterscheidet sich von den klassischen Dörfern oder Städten, durch die man normalerweise kommt. Es gibt im Prinzip nur eine lange Hauptstraße, an der sich links und rechts dicht aneinander gebaute Häuser reihen. Alle paar Meter sieht man eine Kirche. Aber keine normale Kirchen, sondern in einem Größenausmaß, dass so manche Kathedrale neidisch werden könnte. Was an diesem Ort wohl so besonders ist?

Weiter gehts. Der einzige spürbare Höhenunterschied steht an. 130 Höhenmeter auf 600 Meter Strecke. Der Hügel sieht schon von fern sehr steil aus und wirkt auf manche sicher abschreckend. Ich führe aber einen innerlichen Freudentanz auf. Ach, wie oft habe ich mich über Höhenmeter bei euch beschwert, aber bei so viel Flachland ist das eine willkommene Abwechslung. Während ich den Hügel erklimme, habe ich einen ausgezeichnet Überblick über die Landschaft. Und das wieder mal bei Sonnenaufgang. Einfach herrlich!

Beim sofort folgenden Abstieg muss ich schmunzeln. Sehr steile Passagen sind oft zubetoniert, damit auch wirklich jeder Blinde mit Krückstock den Weg begehen kann. So auch hier. Die Idee finde ich nicht schlecht, nur wenn ich an das Terrain in Frankreich zwischen Genf und Le Puy zurückdenke, wo die Wege zu großen Teilen unter Wasser standen und/oder Auf- und Abstiege auf faustgroßen Schottersteinen zu bewältigen waren, ist der Pfad hier ohnehin schon sehr einfach und dann betonieren sie auch noch die lustigen Stellen zu. Spaßbremsen.

Hape Kerkeling hat fertig. Herrliches Buch. Was kommt als nächstes? Auf Herr der Ringe habe ich gerade nicht wirklich Lust, daher entscheide ich mich für erwas sachliches. Eine Biographie über Elon Musk. Darauf habe ich mich schon lange gefreut.

Eigentlich wollte ich erst im nächsten Ort, welcher ein winziges Nest ist, wieder Pause machen, aber eine große Anzahl an Bankerl mitten am Weg bieten sich schön an um sich ein paar Minuten hinzusetzen. Dort lerne ich Jeff kennen, welcher sich mit den Worten „Hi, I’m Jeff. Sorry for Trump.“ bei mir vorstellt. Er ist mir auf Anhieb symphatisch und ich möchte ihn gerne näher kennenlernen. Ich hänge mich bei ihm an. Zumindest für die nächsten 4 Kilometer bis zu meiner Pausenstation. Jeff ist Lehrer in Boston. Er unterrichtet an einer primary school und sein Lieblingsfach ist Geschichte. Sein Onkel war ebenfalls Lehrer und er erzählt mir eine Geschichte über einen Klassenclown in der Klasse seines Onkels, welcher die Schüler immer ablenkte und für Ärger sorgte. Jeffs Onkel hatte nicht viel Hoffnung für diesen Störenfried, aber wie sich herausstellte sollte er mit Gags und Unterhaltung seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Und das nichtmal schlecht. Denn bei dem Klassenclown handelte es sich um niemand geringeren als Adam Sandler. Auch Jeff hofft, dass er seine Schüler ausreichend inspirieren kann, damit einmal was aus ihnen wird. Ich für meinen Teil bin da sehr zuversichtlich, denn Jeff ist ein „dufter Typ“.

In vorhin angesprochenem verschlafenen Nest lege ich meine Frühstückspause ein. Und wer sitzt da? Bianca! Gemeinsam mit Serge (das ist der, der den Müll aufsammelt). Ich hätte nicht gedacht, dass ich Bianca nochmal treffe, was für eine Überraschung. Weil wir aber nicht alleine sind, beschränkt sich unsere Unterhaltung diesmal auf klassichen Pilgertalk. Serge hat heute übrigens frei. Er ist strenggläubiger Christ und deshalb kommt für ihn Arbeit am Sonntag nicht in Frage.

Bianca bricht auf, Serge sucht sich eine Herberge und so sitze ich mit Bernd, welcher sich später zu uns gesellt hat, alleine am Tisch. Bernd ist… Lehrer. Als wären nur noch Lehrer am Camino unterwegs 😀 Um genauer zu sein: Lehrer an einer Abendschule für Mathematik, Philosophie und Computerscience. Aber er unterrichtet nicht nur an der Abendschule, sondern auch im Knast. Was für viel Gesprächsstoff sorgt, während wir die restlichen 8 Kilometer zu meinem Etappenziel zurücklegen. Bernd klärt mich übrigens auch auf warum es so viele Kirchen in Castrojeriz gibt. Es handelte sich früher um eine wohlhabende Stadt, welche vielen Adelsleuten Exil vor den Mauren bot. Als Dank stifteten sie Kirchen und wollten sich untereinander übertrumpfen. Und so kommt es, dass in Castrojeriz ehemals 8 Kirchen im Ausmaß von Kathedralen standen.

Endlich am Ziel angekommen. Bevor ich zu meiner Unterkunft gehe, kehre ich bei einer Bar ein. Bernd schließt sich an. Wieder sehe ich Bianca sitzen. Diesmal gemeinsam mit einer französichen Pilgerin, welche den Weg von Le Puy nach Saint Jean bereits in Etappen gegangrn ist. Ihr Beruf? Warum frage ich überhaupt noch. Lehrerin. Ihr Englisch ist nicht ganz so gut und so entsteht für eine kurze Zeit eine witzige Situation, in der sie auf französich spricht und ich auf englisch antworte. Tut gut zu wissen, dass meine Pseudo-Französischkenntnisse nach wie vor vorhanden sind 🙂

Bianca geht mit der Französin noch einen Ort weiter. Bernd hat sich ein Zimmer in meinem Hotel reserviert, nachdem ich ihm erzählt habe, dass es spottbillig ist. Also auf und endlich einchecken. Mittlerweile ist es nämlich wieder unbarmherzig heiß geworden und es wird Zeit für eine Siesta. Gegen einen geringen Obolus nutze ich das Wäscheservice des Hotels und so bekommen meine Sachen zum dritten Mal in über 4 Monaten einen ordentlichen Waschgang. Die Wäsche hängt und auch der Philipp ist bereits sauber. Jetzt noch eine Runde chillen und hoffen, dass zumindest die Hose schnell trocken ist, damit ich nicht in Unterwäsche im Speisesaal fürs Abendessen aufkreuzen muss 😀

So, heute habe ich mich mal ordentlich verausgabt was den Blogeintrag angeht. Hoffentlich hats euch gefallen und ihr konntet den Pilgertag durch meine Augen sehen. Bis morgen meine Lieben!