Carrión de los Condes – Sahagún (ca. 38 Kilometer)
Mittlerweile fällt es mir erstaunlich leicht um 5 Uhr in den Startlöchern zu stehen. Noch einmal durch die schier endlosen Gänge des Hotels irren. Es handelt sich nämlich um ein altes umgebautes Kloster, bei dem man versucht hat möglichst viel des ursprünglichen Flairs beizubehalten. Aus meiner Sicht wäre es bombastisch gewesen im inneren hochmoderne Zimmer vorzufinden, was man bei dem mittelalterlichen Äußeren (inklusive Klostergarten und Innenhof) ja nicht erwarten würde. Aber was verstehe ich schon von Architektur.
Jedenfalls versuche ich auszuchecken. Leider wird beim Nachpersonal oft gespart und so gibt es massive Kommunikationsprobleme mit dem Portier. Wie sich herausstellen sollte, haben sie mir das Zimmer doppelt verrechnet. Neben meiner Zahlung beim Checkout, wurde auch noch von der Kreditkarte abgebucht, welche als Sicherstellung hinterlegt war. Nach einigem hin und her getelefoniere im Laufe des Tages konnte aber auch das geregelt werden.
Wie gesagt, um kurz nach 5 stehe ich auf der Straße und bin sehr verwundert was da abgeht. Die Straße ist voll mit Pilgern. Leider auch einige Spanier dabei, welche von Natur aus laut zu sein scheinen, und somit ist selbst in tiefster Dunkelheit nichts mit morgentlicher Ruhe. Aber ich bin ohnehin komplett der Biographie von Elon Musk verfallen. Einfach göttlich vorgelesen! Als dann die Sonne aufgeht, erkenne ich erst das ganze Ausmaß des „Pilger-Highways“. Der Weg selbst ist wieder schnurgerade und ich zähle grob durch wieviele Pilger ich in Sichtweite habe. Über 30. Ich glaube so viele habe ich insgesamt in Österreich und der Schweiz zusammen nicht mal gesehen.
Der schnurgerade und brettlebene Weg geht genauso eintönig weiter wie er gestern aufgehört hat. Immerhin perfekt zum Hörbuch hören, weil man sich überhaupt nicht auf das Gelände konzentrieren muss. Bis zum ersten Ort sind es knapp über 17 Kilometer, was anscheinend die längste Distanz ohne Verpflegungsstelle am Camino Frances ist. Einige Pilger waren deshalb gestern schon massiv nervös und vermutlich ist deshalb so früh schon so viel los.
In jeder Stadt, durch die ich heute komme, genehmige ich mir ein Erfrischungsgetränk. Keine Sorge, nicht immer Bier. Davon hatte ich in den letzten Tagen vielleicht ein bisschen zu viel 😀 Ich bin deshalb ein bisschen zögerlich unterwegs, weil ich nicht weiß wie weit ich heute gehen möchte. Das Wetter ist selbst zu Mittag noch erstaunlich mild und so hantele ich mich von Bar zu Bar vorwärts.
Während einer meiner Pausen sitze ich alleine mit einem anderen Pilger bei einem Bier. Ich habe schon 30 Kilometer hinter mir und auch die Pilgerflut ist mittlerweile abgerissen. So komme ich ins Gespräch mit Mac. Der 50 jährige Schotte mit langem, aber gepflegten, Vollbart war 26 Jahre lang Soldat. Er erzählt mir, dass er Schwierigkeiten hat Anschluss in der „normalen“ Gesellschaft zu finden, weshalb er einen Großteil seiner Zeit mit weitwandern verbringt. Er ist heuer bereits zum zweiten Mal am Camino unterwegs und wird nächstes Jahr den Appalachian Trail in Angriff nehmen. Finde ich gut! Als wir kurz über Unterkünfte reden, informiert mich Mac, dass offenbar eine Wanzenplage ausgebrochen ist und viele der Herbergen verseucht sind. Ganze Pilgergruppen mussten mehrere Tage aussetzen, weil ihre Kleidung voller Wanzen war. Das bekräftigt mich nur in meiner Einstellung zu Herbergen. Meine Entscheidung ist gefallen, ich gehe weiter bis Sahagún. Ich verabschiede mich von Mac und mache mich voller Motivation und noch immer fit auf den Weg.
Obwohl die Sonne sehr viel Kraft hat, sorgt ein kühler Wind für eine angenehme Temperatur. Ich kann es kaum fassen wieviel Glück ich mit dem Wetter habe. Dieser Streckenabschnitt ist sehr gefürchtet, denn Temperaturen bis zu 45 Grad im Schatten sind hier im Hochsommer keine Seltenheit. Kurz vor Sahagún steht eine uralte kleine Kirche (die ich Volldodel natürlich nicht fotografiert habe), welche die Hälfte des Camino Frances markiert. Fast da! Laut GPS Daten müsste die Hälfte zwar schon vor 2 Tagen gewesen sein, aber mangels Satelliten im 13. Jahrhundert und der ständig geänderten Wegführung des Jakobsweges lasse ich das mal grad so durchgehen.
Meine Herberge (keine Sorge, habe natürlich ein Einzelzimmer 😀 ) liegt direkt am Ortseingang von Sahagún. Ich fühle mich nach über 38 Kilometern erstaunlich fit und könnte locker noch 10 drauflegen. Aber wir müssens ja nicht übertreiben 😀 Das Zimmer ist sehr rustikal und absolut abgewohnt. Vermutlich nicht umsonst eines der billigsten Einzelzimmer in der Stadt. Aber für eine Nacht mehr als in Ordnung. Und ich habe sogar einen in der Decke verbauten Radio mit Steuerung am Nachtkasterl. Sowas ist mir auch noch nicht untergekommen 😀
Zum Schreiben meines Blogeintrages setzte ich mich auf ein Cerveza con Limon in die zur Herberge gehörigen Bar. Offenbar schaue ich extrem ausgemergelt aus, denn die ausgesprochen freundliche Besitzerin veranlasst sofort, dass mir zwei Wurstbrote aufs Haus gebracht werden. Dabei hatte ich eine ganze Pizza zu Mittag. Aber Hunger habe ich immer 😀
Apropos Hunger. Wird Zeit fürs Abendessen. Salat und Spaghetti. Vitamine und Kohlenhydrate. Alles was ein Pilger so braucht. Alles? Ja, natürlich auch Wein 🙂 In diesem Sinne Mahlzeit und Prost!