Jakobsweg Tag 134: Motiviert

León – Hospital de Órbigo (ca. 31 Kilometer)

Tja, anscheinend habe ich im Halbschlaf den Wecker weggedrückt und mal eben so ein paar Stündchen draufgelegt. Aber der Schlaf war wohl dringend notwendig, denn als ich aufwache fühle ich mich sehr wohl. Das anfliegende Gefühl einer Erkältung ist fort und ich bin massiv motiviert. So gegen halb 9 checke ich aus und bahne mir meinen Weg durch León. Dabei komme ich dann doch noch an ein paar Sehenswürdigkeiten vorbei, die ich gestern vermisst habe.

Beinahe 8 Kilometer lang geht man durch León, seine Vororte und das Industriegebiet. Der Jakobsweg teilt sich dann in zwei Routen auf. Eine führt immer an der Schnellstraße entlang, die andere wählt eine ruhigere Strecke, ist aber 5 Kilometer länger. Ich bin war motiviert, aber nicht motiviert genug um 5 Kilometer zu gehen, die ich nicht gehen muss. Also folge ich dem Hauptweg neben der Schnellstraße.

Es sind so unglaublich viele Pilger am Weg, das ist ein Wahnsinn. Und es werden immer mehr, je näher man Santiago kommt. Zur Verdeutlichung hier ein Bild, welches ich am Ende des Tages geschossen habe.

Pilgerhochsaison

Ganz zu schweigen von der Gruppe Südkoreaner, welche direkt hinter mir war.

Jedenfalls ist mir trotzdem nach Einsamkeit und dröhne mich deshalb mit Rammstein zu. Immer wieder treffe ich Alexandra, eine Pilgerin, die ich schon zu Beginn des Camino Frances kennengelernt habe, die mir aber zu anstrengend ist. Bei einer meiner Pausen setzt sie sich zu mir und zeigt mir 15 Minuten lang ihre ganzen Gelsendippel, Wanzenbisse, Ausschläge, blaue Flecken, Abschürfungen und was sie sonst noch alles auf ihrer Haut findet. Dazu kommt, dass die Kanadierin, die in einer französich dominierten Stadt wohnt, nicht sonderlich gut Englisch kann, was die Sache nicht erträglicher macht. Mit meinen besten Manieren gebe ich ihr dann zu verstehen, dass ich gerne alleine sein möchte. Zumindest so allein wie es auf dem Pilgerhighway halt geht.

Tatsächlich schaffe ich es für eine Strecke von ein paar Kilometern keinen Pilger in Sichtweite zu haben. Man könnte es ja fast genießen, wenn der elends gerade und flache Weg nicht direkt neben der Schnellstraße verlaufen würde. Es ist so laut, dass ich die Musik kaum mehr hören kann. Immerhin bin ich noch immer motiviert und schreite schnellen Schrittes meinem Etappenziel entgegen. Vielleicht zu schnell. Auf der Unterseite meiner kleinen Zehe hat sich eine Blase gebildet.

Pilgerhighway neben dem Highway. Schnurgerade dem Horizont entgegen

Ich erreiche mein Ziel und freue mich schon aufs Hotel um endlich meine Blase verarzten zu können. Im Stadtzentrum steht plötzlich Petra vor mir, das Überbleibsel der beiden in London lebenden Ungarinnen. Allerdings unterhalten wir uns nur kurz, denn sie hat einen hübschen Italiener im Schlepptau. Da will ich natürlich nicht im Weg stehen 😉

Mein „Hotel“ entpuppt sich als Truckermotel. Es ist ja schon fast wie im Film. Von draußen das monotone Rauschen der Autos von der Schnellstraße, im Bad tropft der Wasserhahn und der Fernseher geht nicht… was nicht so schlimm ist, denn mein Zimmernachbar hat sein Gerät auf voller Lautstärke laufen, damit ich mithören kann. In der zugehörigen Bar gibt es wenigstens eines dieser 10 Euro Menüs, mit denen man eine Großfamilie ernähren könnte. Inklusive extra Portion Eiweiß in Form eines undefinierbaren Insekts, das zu Lebzeiten des Fliegens mächtig war.

Aber ich bin satt und habe ein wanzenfreies Bett. Was will das Pilgerherz mehr. Jetzt werde ich mir noch eine Folge „orange is the new black“ reinziehen. Wenigstens ist das wi-fi ganz passabel. Ab morgen gibt es endlich wieder Berge! Freue mich schon wie ein kleines Kind 🙂 In diesem Sinne… Berg heil!