Sarria – Portomarin (ca. 22 Kilometer)
Die Truppe startet fast pünktlich um 6:45 Uhr. Zu dieser Zeit liege ich noch im Bett wälze mich auf der unglaublich angenehmen Matratze hin und her. Gegen halb 9 packe ich es dann doch, auch wenn ich aus dieser unsagbar herrlichen Kuschelburg eigentlich gar nicht raus will.
Meine linke Achillessehne hat sich wieder mal entzündet, aber mittlerweile kann ich ganz gut damit ungehen und weiß, dass der Schmerz nach 30 Minuten warmgehen verschwindet. Eifriges massieren und dehnen wird entgegenwirken. Und so humple ich langsam bergauf raus aus der Stadt.
Ein Paar stoppt mich und möchte wissen woher ich die Muschel an meinen Rucksack habe. Wahrheitsgemäß antworte ich: Aus der Schweiz. Erst glauben sie, dass ich die Frage falsch verstanden habe, bis sie überknausern, dass ich durch die Schweiz durchgegangen bin. Der Mann möchte wissen ob ich den ganzen Jakobsweg gegangen bin. Kann man überhaupt „den ganzen“ Weg gehen? Gibt ja unglaublich viele Wege. Als er erfährt, dass ich von Wien los bin, winkt er ab mit dem Kommentar „Achso, nur 3000 Kilometer. Ich dachte du seist den ganzen Weg gegangen.“ Sowas darfst du dir dann von jemandem anhören, der nur die letzten 100 Kilometer macht.
Sarria ist DIE Stadt, an der die Meisten starten um die letzten 100 Kilometer des Jakobsweges für die Compostela zu machen. Leider habe ich zufällig eine schlechte Woche erwischt, denn gestern war Feiertag in Spanien und somit ist hier mehr los als ohnehin schon los wäre. Ursprünglich wollte ich wieder meine persönliche Challenge machen und zählen wieviele Pilger ich überholen kann. Nach 20 Minuten bin ich schon fast bei 100 und höre die Zählerei auf. Die Menschenmasse bildet eine einzige Schlange am Weg. Genauso gut könnte ich durch die wiener Innenstadt gehen. Mir ist das deutlich zu viel, deshalb stöpsle ich mich mit Musik zu, zurre den Rucksack bombenfest an meinen Körper und beginne zu joggen. Mit leichtem Fuß husche ich zwischen den Massen durch, immer mit einem Auge in die Menge um meine Gruppe nicht zu verpassen.
Bei einer Bar sehe ich Gordon sitzen und geselle mich zu ihm. Ich frage ihn wo die anderen sind. Hinter uns. Oh, offenbar habe ich sie dann wohl doch übersehen. Werden wohl in einer der Pausenstationen am Wegesrand gesessen haben. Durch meinen Laufschritt bin ich extrem verschwitzt und muss meinen Elektrolythaushalt mit zwei Bier ausgleichen. Die Gruppe schließt auf, möchte aber bald weiter, denn sie hatten erst eine Pause.
Ich passe mein Tempo an und bleibe bei den anderen. Unzählige Kilometermarker am Wegesrand zeigen den Fortschritt in Richtung Santiago an. Dann ist es endlich so weit: Die letzten 100 Kilometer bis zum Ziel! Ein bedeutender Meilenstein und für mich sehr motivierend.
Jetzt haben wir auch nicht mehr weit nach Portomarin. Die ursprüngliche Stadt ist vor etwa 50 Jahren einem Staudamm zum Opfer gefallen und wurde geflutet. Nur die Kirche und einige wenige Monumente wurden abgetragen und an höherer Stelle wieder aufgebaut.
Wir gehen in unsere Unterkünfte, treffen uns aber gleich nach der Dusche wieder auf einen Kaffee. Beziehungsweise in meinem Fall auf ein ganzes Menü. Bis auf zwei Bananen habe ich heute noch nichts gegessen. Danach bin ich komplett bettfertig, auch wenn es erst kurz vor 5 ist. Die Mädels gehen noch einkaufen, ich hau mich für ein oder zwei Stündchen aufs Ohr, ehe ich auf ein Glaserl Wein wieder zu ihnen stoße, nachdem sie bereits zu Abend gegessen haben.
Da fällt mir dann das auf, was mir schon oft erzählt wurde, ich aber nie so recht glauben konnte. Oder wollte. Die letzten 100 Kilometer sind eine Partymeile. So viele Betrunkene schreien und gröhlen herum, dass man sich draussen auf der Straße kaum unterhalten kann. Selbst jetzt auf meinem Zimmer übertönt das Geschreie den Fernseher. Und es ist fast Mitternacht. Also mit Schlaf wird das heute wohl nichts. Um dem Trubel zu entgehen, habe ich kurzerhand beschlossen zwei Etappen zusammenzulegen und somit doch schon einen Tag früher in Santiago zu sein. Zusätzlich habe ich die Pensionen im Voraus gebucht und zwar immer welche mitten in der Pampa, wo vermutlich die Wenigsten absteigen. Für mich hat das alles nichts mehr mit pilgern zu tun. Ich hab es schon mal gesagt und kann es nur unterstreichen. Würde ich den Jakobsweg nochmal machen, dann nur bis zur spanischen Grenze. In Frankreich war ab Le Puy auch schon mehr los, aber es hat sich in Grenzen gehalten. Das hier ist einfach nur noch Massentourismus. Vielleicht nimmt man es auch anders wahr, wenn man nur den spanischen Teil macht und es eben nicht anders kennt, als gemeinsam mit vielen Menschen am Weg zu sein. Aber gut, jetzt hab ichs ja eh bald geschafft. Nach so langer Zeit unterwegs tut es gut ein Ziel vor Augen zu haben.
Nur noch drei Mal schlafen!