Jakobsweg Tag 40: Elektrozäune, Stacheldraht und akrobatische Meisterleistungen

Appenzell – St. Peterzell (ca. 24 Kilometer)

Heute läutet der Wecker etwas später. Ich will noch aufs Pfarramt und wegen einem neuen Pilgerpass fragen. Auf Frühstück habe ich keine Lust, also verplempere ich etwas Zeit im Bett. Meine Füße tun mir höllisch weh, diese neuen Schuhe waren keine gute Idee. Als ich zusammenpacke und die Schuhe anziehe, glaube ich, meine Achillessehnen explodieren jeden Moment. Wie auf rohen Eiern humple ich aus dem Hotel zum Pfarramt. Die Sekretärin hat leider keinen Pilgerpass für mich, schickt mich aber zum Kloster, ich soll dort mal fragen. Kein Problem ist quasi ums Eck. Nur leider haben die grad Morgengebet und der Klosterladen macht erst in einer dreiviertel Stunde wieder auf. Blöd rumsitzen will ich auch nicht, also gehe ich unter Schmerzen auf Stadtbummel. Da taucht ein Intersport vor mir auf. Meine Chance! Sie haben die Salomon Speedcross 4 ohne Membran zwar nur in 45 1/3, aber das ist mir egal, noch einen Tag in den anderen Schuhen halte ich nicht aus. Ich ärgere mich massiv über mich selbst, dass ich mich hinreissen hab lassen diese blöden Dinger zu kaufen. Aber ärgern bringt nix, mitnehmen will ich sie nicht (ich zieh dieses Teufelswerk eh nie wieder an), fürs wegschmeissen sind sie zu schade, also schenke ich sie kurzerhand dem Lehrling der Filiale, welcher zufällig meine Schuhgröße hat. Ja, ihr könnt jetzt sagen was ihr wollt, ich weiß ich habs verkackt und Geld zum Fenster rausgeworfen. Aber ab jetzt keine Experimente mehr, ich bleibe für immer meinen Salomon treu.

Der Klosterladen hat noch zu als ich wieder vor der Türe stehe, aber die Nonne kommt ein paar Minuten später um die Ecke. Sie hat einen neuen Pilgerpass für mich und endlich bekomme ich auch eine Jakobsmuschel mit Bändchen, um das unverkennbare Pilgersymbol an meinen Rucksack zu binden.

In den gewohnten Schuhen fühle ich mich gleich wie zu Hause. Die Schmerzen an der Achillessehne lassen schnell nach und ich starte durch. Die ersten Kilometer der heutigen Etappe führen durch den sogenannten „Barfußweg“. Man könnte hier ohne Schuhe gehen, allerdings gibt es stellenweise Schotter und viele Straßenkreuzungen. Also nichts für mich 🙂

Bei Jakobsbad beginnt der im Reiseführer erwähnte steile Aufstieg. Zuerst auf Asphalt, wechselt aber rasch in eine Weidenwanderung. Dabei gilt es unzählige Sperren zu durchqueren. Und zwar in allen Formen, sodass es schon mal passiert ist, dass ich rätselnd vorm Zaun gestanden bin und mich gefragt habe wie ich denn da drüber soll. Von einfachen Eisentoren, zu auszufädelnden Elektrozäunen über abgedeckte Stacheldrahtpassagen, welche überstiegen werden mussten, war alles dabei. Mein persönlicher Favorit war ein Tor, welches mit 3 nicht fixierten Eisenstangen gesichert war. Man musste also die Stangen runterheben um durch zu kommen. Vorbeiquetschen ging nicht, da überall Stacheldraht herumgewickelt war. Das Gewicht der einzelnen Stange (etwa 3 Meter lang) schätze ich so auf 20 – 25 Kilo. Ich habe mir da eine Patricia mit ihren 40 Kilo vorgestellt und mich gefragt wie da ein zierliches Dirndl jemals vorbei kommen soll.

An einer Stelle musste ich mitten durch eine Kuhherde. Zuerst habe ich mich langsam genähert um zu schauen wie sie reagieren, aber es war den Viecherl vollkommen egal, dass ich da jetzt mitten durch gehe. Kühe sind ja eh sehr gutmütig, aber wenn da links und rechts mit nur wenig Zentimeter Abstand dutzende Kühe rumliegen… also mir wurd da schon bissl anders 😀 Als ich durch die Herde durch war, höre ich es hinter mir schnauben. Zwei Kühe haben mich verfolgt und eine hat an meinem Rucksack geknabbert! Na so nicht meine liebe. Nach einer kurzen Standpauke haben sie sich umgedreht und wieder zur Herde begeben.

Es geht ein Stück bergab nach Urnäsch. Mittlerweile habe ich großen Hunger. Eigentlich wollte ich wo einkehren, aber der ganze Hauptplatz, wo die Gasthäuser sind, war wegen Bauarbeiten gesperrt, also habe ich mir im Supermarkt nur ein paar kalte Getränke geholt. Direkt nach Urnäsch soll es wieder steil bergauf gehen. Die Mittagssonne brennt unbarmherzig runter und ich schwitze abartig. Während dem Aufstieg mache ich ein paar Fotos und checke sicherheitshalber die Karte, wenn ich das Handy schon in der Hand habe. Ich bin falsch! Na toll. Aber es sieht so aus als würde ich eine Alternativroute gehen können, dann muss ich nicht absteigen und wieder aufsteigen. Während ich mir die Route ansehe tropft es aufs Handy. Regen? Das hat mir grad noch gefehlt. Ein Blick nach oben: Keine einzige Wolke am Himmel. Hä? Ich schau aufs Handy, es tropft schon wieder. Achja… ich schwitze ja abartig. Also so geschwitzt, dass es im Sekundentakt von der Nasenspitze runtertropft habe ich auch noch nie 😀

An dieser Stelle muss ich kurz erklären, wie man sich so arg vergehen kann. In der Schweiz sind alle Wanderwege einheitlich mit gelben Pfeilen markiert, welche nur alle paar Kilometer beschriftet sind und sonst meist nur mit „Wanderweg“ bedruckt. Wenn du also irgendwann mal dem falschen gelben Pfeil folgst, fällt dir ziemlich lang nicht auf, dass es der falsche gelbe Pfeil ist… weil die Dinger ja eben einfach nicht beschriftet sind.

Der Gipfel der heutigen Etappe, auf über 1100 Meter Seehöhe, ist auf Umwegen erreicht und es folgt ein langer und stellenweise steiler Abstieg. Mir fällt auf, dass es hier kaum Bankerl gibt. Seit gestern schon. Gut, bei den Preisen in der Schweiz kostet ein Bankerl vermutlich eine Million Euro. Im Monat. Oder so. Nach fast 12 bankerllosen Kilometer endlich eine Bank und verdient die Beine ausruhen! Aber jetzt ists nicht mehr weit.

In St. Peterzell gehts (mal wieder) die letzten Meter bergauf zur Unterkunft. Obwohl die Etappe relativ kurz war, hat mich die knallige Sonne ordentlich geschafft. In meiner Unterkunft sich viele Wanderer und Pilger eingefunden. Ein großes Mehrfamilienhaus, in dem alle Zimmer zu Schlafzimmern umgebaut wurden. Sehr rustikal, aber liebevoll eingerichtet. Nach einem Plausch mit der Hausherrin werfe ich mich frisch geduscht ins Bett und penne gleich mal eine Runde. Deshalb der Eintrag auch erst so spät 😀 Ich wache auf weil ich aufs Klo muss, allerdings nimmt irgendwer ein Bad und blockiert seit einer Stunde das Badezimmer…

So, jetzt muss ich aber wirklich Schluss machen. Morgen steht meine 40 Kilometer Etappe an und der Wecker läutet um 5. Noch zweifle ich ein bisschen an mir, aber einfach mal schauen wies läuft. Zur Not muss ich halt per Anhalter fahren 😀