St. Peterzell – Rapperswil-Jona (ca. 34 Kilometer, 26 zu Fuß, 8 mit Bus)
Der Wecker läutet um 5, aber ich komme nicht so recht auf. Um etwa 6:15 Uhr bin ich dann ausser Haus. Auf Frühstück habe ich dementsprechend verzichten müssen, aber ich habe das Geld dafür bereits gestern von der Hausherrin retour bekommen.
Heute gibt es zwei harte Auf- und Abstiege. Gepaart mit der Distanz kann das ganz schön anstrengend werden. Erste Station ist Wattwil. Mit dem Aufstieg komme ich ganz gut klar, aber die 400 Höhenmeter Abstieg durch kniehohes, feuchtes und rutschiges Gras haben mir gar nicht gefallen. Das war der ekelhafteste Abstieg, von allen bis jetzt. Jeder Schritt muss ausgeglichen werden um nicht zu rutschen. Abgesehen davon, dass die ganze Zeit über natürlich die Schuhe komplett unter Wasser gestanden sind.
In Wattwil angekommen, hole ich mir dann doch nur was zu trinken. Obwohl ich seit 1 1/2 Tagen nichts gegessen hatte, habe ich einfach keinen Hunger. Der Aufstieg aus Wattwil fällt mir besonders schwer. Ich schwitze unglaublich viel. Von der Anstrengung her gehts, mittlerweile bin ich die täglichen 1500 Höhenmeter ja schon gewöhnt, aber dieses Geschwitze macht mich fertig.
Am höchsten Punkt der Tagesetappe steht ein Kühlschrank mit Getränken und Eis. Die kleinste Münze, die ich habe sind 5 Franken. Da das Ganze auf Spendenbasis funktioniert, denke ich, dass ein kleines Bier und ein halber Liter Eistee wohl angemessen sind. Während ich genüsslich meine Getränke schlürfe, die Aussicht geniesse und ein wenig meine vermuskelkaterten Oberschenkel massiere, lasse ich den Vormittag revue passieren und komme zum Schluss, dass ich vermutlich einen leichten Sonnenstich habe. Gestern bei knalliger Sonne kein Kapperl getragen. Blöd halt. Aber das würde das Schwitzen, das übermäßige Trinken, den leichten Schwindel und den ungewöhnlich hohen Grad der Erschöpftheit erklären. Wie auch immer, den restlichen Tag gehts sowieso bergab und nur ein kurzes Stück ist steil, der Rest angenehm flach.
Plötzlich höre ich einen lauten Knall, der das ganze Tal zum Beben bringt. Noch einer. Noch einer. Es hört gar nicht mehr auf. Erst dachte ich an Sprengungen, aber es hört sich mehr wie Schüsse an. Dann setzt ein regelrechter Sturm aus Maschinengewehrfeuer ein. Oh Gott, was ist da los? Ist Österreich einmarschiert? Der Lärm ist ohrenbetäubend, obwohl er weit weg scheint. Die Schüsse und das Getöse von den Maschinengewehren wird nur von den noch lauteren Explosionen übertönt. Ich fühle mich wie im Krieg und bekomme es kurz mit der Angst zu tun. Dann die ersten Warnschilder: „Schussgefahr“, „Bestreten strengstens verboten“ und der Hit „Keine Blindgänger aufheben“. Ein militärisches Übungsgelände wo es offenbar heiß her geht.
Im Laufe des Abstiegs bekomme ich dann doch (endlich) Hunger. Auch wenn ich heute schon wirklich viele Pausen machen musste, komme ich dann nicht umher bei einem Wirt mit dem Schild „Pilgerverpflegung“ einzukehren. Es gibt zwar grad keine Küche (weil Mittagspause ist), aber ich bekomme etwas von dem ab, was sich die Köche selbst gemacht haben. Natürlich nicht umsonst, aber verbilligt.
Immer wieder regnet es kurz. Weil es aber wirklich nur kleine Schauer sind, verzichte ich auf Regenschutz. Vor Neuhaus wird es etwas stärker und ich warte eine Weile auf einem Bankerl unter einem Baum bis es abschwächt. Schön langsam merke ich aber auch wie mich die Kraft verlässt. Bis jetzt hatte ich nie Muskelkater, aber heute tut mir einfach alles weh. Die Oberschenkel brennen ganz schön, aber besser die Oberschenkel brennen als das Knie schwillt an. Also ein Zeichen von korrekter Belastung beim Abstieg.
In Neuhaus sage ich mir immer wieder „Nur noch 10 Kilometer“. Achja, apropos Kilometer. Während einer Pause bin ich drauf gekommen, dass ich die ganze Zeit die Etappe falsch geplant hatte. Also besser gesagt die falsche Etappe. Mein heutiger Weg setzt sich nämlich aus 2 Etappen zusammen, welche sich mit insgesamt 5 anderen Etappen kreuzen. Da habe ich wohl irgendwo die falsche Anschlussetappe erwischt. Ziel bleibt das gleiche, nur dass es keine 40 Kilometer sind, sondern 34. In der ganzen Schweiz gibt es so unglaublich viele Jakobswege, das verwirrt mich jeden Tag.
Als ich in Eschenbach ankomme beginnt es wie aus Eimern zu schütten. Was jetzt kommt ist wirklich so passiert, ich schwörs euch. Weil ich innerhalb von Sekunden komplett durchnässt bin, laufe ich zur nächsten Überdachung. Noch bevor ich realisiere, dass es eine Bushaltestelle ist, fährt ein Bus mit der Aufschrift „Rapperswil-Jona“ ein. Wie mein Religionslehrer immer gepredigt hat: „Wenn Gott dir Hilfe schickt, solltest du sie annehmen“. Da soll noch einer sagen ich hätte im Unterricht nicht aufgepasst!
Der Bus bringt mich fast bis zur Haustür meines Hotels und ich checke ein. Witzigerweise ist das das erste Mal, dass das Bad größer ist als das Zimmer mit Bett. Aber gut, abgesehen vom Bett verbringt man die meiste Zeit im Zimmer ohnehin im Bad.
Schon wieder Hunger. Ein gutes Zeichen! Eigentlich wollte ich traditionelle schweizer Küche ausprobieren, aber bei 40 Euro für ein Schnitzel ist es dann doch Mäci geworden 😀 Obwohl es noch immer leicht regnet, setze ich mich nach draussen in den überdachten Sitzbereich. Da kommen dutzende Spatzen angeflogen und setzen sich rund um mich auf den Tisch. Die Mistviecher klauen mir meine Pommes aus der Schachtel! So frech, das ist ja unglaublich.
Für morgen nehme ich mir eine kürzere Etappe vor. Schön langsam kann ich keine Höhenmeter mehr sehen. Zumindest ein bisschen Abwechslung wäre nett, irgendwie sehne ich nach ein paar flachen Stellen 😀 Und ich muss noch herausfinden wie ich einen Campingplatz nutzen kann, während die Rezeption geschlossen ist. Ich kann ja nirgends bezahlen, wenn am Abend wo ich ankomme keiner mehr da ist und in der Früh wenn ich gehe noch keiner da ist 😀