Jakobsweg Tag 42: Es kommt nicht auf die Länge an

Rapperswil – Einsiedeln (ca. 15 Kilometer)

Ich habe mir den Wecker sehr spät gestellt. Es ist für den ganzen Tag Regen angesagt und weil die Etappe kurz ist, habe ich ja keinen Stress. Weil Feiertag ist, hole ich mir ein kleines Frühstück. Bis um dreiviertel 11 sitze ich am Zimmer und hoffe, dass es aufhört zu regnen… vergeblich. Also checke ich aus. Vorerst nur mit kurzer Hose und kurzem Shirt. Bereits nach wenigen Metern ziehe ich dann doch die Regenjacke über. Beim üblichen „ist eh alles verpackt“ Blick, fällt mir auf, dass die Stöcke fehlen. Also wieder zurück zum Hotel. So, jetzt haben wir alles.

Den Zürichsee kann man auf einem wiederaufgebauten historischen Steg überqueren. Mit über 800 Meter Länge sicher ein Erlebnis. Allerdings kann ich den Einstieg nicht sofort finden und irre etwas umher. Endlich am Steg bin ich überrascht davon wie sorglos die Vögel direkt neben dem Steg ihrem Leben nachgehen. Man sieht belebte Nester, eine ganze Möwenkolonie und man kann den Enten beim Tauchen durch das klare Wasser des Sees zusehen. Nicht nur weil das nasse Holz rutschig ist brauche ich so lange, immer wieder bleibe ich stehen und beobachte die Vögel.

In der Regenjacke wird mir immer so furchtbar heiß. Deshalb gehe ich sehr langsam und nehme immer wieder den Rucksack ab um bisschen durchzulüften. Das erste Drittel der heutigen Etappe ist flach und anspruchslos und ich lasse mir viel Zeit. Das Wetter ist ekelhaft und ich habe eigentlich überhaupt keine Lust auf wandern heute. Bei einer vorgezogenen Mittagspause mit einem Weckerl von einem Kiosk ziehe ich die Jacke kurz aus um bisschen abzukühlen. Gleich komme ich zum zweiten Drittel der Etappe, welches durch einen steilen Aufstieg dominiert wird. Schon wieder Höhenmeter, meine Laune ist im Keller.

Als ich meine Pause beende und den ersten Schritt auf die Treppe mache, mit der der Aufstieg beginnt, hört es tatsächlich auf zu regnen. Also Regenjacke ausziehen und mit T-Shirt weiter. Es ist zwar weder richtig kalt noch richtig warm, aber durch den Aufstieg wird mir sicher gleich heiß.

Während ich vor mich hin keuchend den Steig hochgehe, denke ich viel darüber nach warum ich die letzten Tage so schlechte Laune und überhaupt keine Lust auf gehen habe. Gibt es sowas wie eine Wanderdepression? Vielleicht plane ich auch einfach zu viel. Bis jetzt habe ich nie vorreserviert, aber seit ich in der Schweiz bin buche ich die Unterkünfte immer 2-3 Tage im Voraus um Geld zu sparen. Dadurch bin ich aber verpflichtet die Etappenziele zu erreichen. Vielleicht stresst mich das und macht mich mies drauf?

Mittlerweile regnet es wieder, aber der Aufstieg geht weiter durch einen dichten Wald, welcher den Regen großteils abschirmt. Trotzdem bin ich klatschnass durchgeschwitzt, also eigentlich eh egal 😀 Ich treffe zwei andere Wanderer bei einer überdachten Pausenstation und wir unterhalten uns eine Weile, ehe sie weitergehen. Plötzlich fühle ich mich frisch und motiviert. Fühle ich mich vielleicht einsam? Ist das der Grund für meine schlechte Laune? Bis jetzt waren mir Menschen immer zuwieder, aber jetzt wo ich oft alleine bin vermisse ich sie? Irgendwie seltsam.

Das dritte Drittel ist vom Gelände her sehr einfach, allerdings komplett offen. Dadurch regnet es mich massiv ab. Trotzdem verzichte ich auf eine Regenjacke, bin ja eh schon nass 😀

Ich komme in Einsiedeln an und checke im Hotel ein. Es ist eine Mischung aus Jugendwohnheim, Pilgerherberge und Seminarhotel. Aber ich habe ein Einzelzimmer, das ist mir wichtig. Zum Essen gibts ein Pilgermenü. Salat als Vorspeise, Lasagne als Hauptspeise und Obstsalat als Nachspeise. Die Lasagne war wirklich ausgezeichnet. Hätte ich bei einer kantinenartigen Küche ehrlich gesagt nicht erwartet.

Morgen steht mir eine äußerst anstrengende Etappe mir einem extrem steilen Auf- und Abstieg bevor. Aber das ist gottseidank die letzte Etappe für eine laaaaange Zeit mit mehr als 1500 Höhenmetern. Die kurze Etappe heute hatte es zwar in sich, hat mir aber gut getan, da ich mir wieder viele Gedanken über das „Warum“ der Reise machen konnte. Interessanterweise komme ich bei den größten Anstrengungen zu den besten Erkenntnissen. So wie heute, dass ich anscheinend doch ein soziales Wesen bin und den Kontakt zu anderen Menschen suche. Vielleicht bekomme ich ja sogar noch Lust auf eine Freundin *iiihhhhh* 😛