Jakobsweg Tag 48: Ich habe keine Lust

Belp – Schwarzenburg (ca. 22 Kilometer)

Gleich vorweg: Das wird ein suder-Eintrag. Den Notausgang finden Sie rechts oben beim kleinen „X“.

Ich habe wirklich tief geschlafen. Mein Körper ist einfach durch. Gestern Abend auch noch Durchfall bekommen. In der Früh kann ich kaum aufstehen, mein rechter Mittelfuß tut so weh, dass ich ihn nur unter Tränen belasten kann. Am liebsten würde ich einfach liegen bleiben, aber die Unterküfte für die nächsten 2 Tage sind schon reserviert, also schwinge ich meinen Arsch hoch. Da ich kein Frühstück gebucht habe, möchte ich mir noch eine Kleinigkeit vom Supermarkt holen.

Es regnet noch immer. Nach dem Einkauf gehts mal wieder paar hundert Höhenmeter bergauf. Trotz Regen und Gegenwind ziehe ich die Weste bald aus und bestreite den Aufstieg im Shirt. Oben angekommen muss ich auf einer relativ ebenen Straße entlang gehen. Mit dem starken Wind wirds doch etwas kalt. Also Weste wieder an. Vorbeifahrende Autos spritzen mich immer wieder mit Wasser voll. Macht aber keinen Unterschied, das Zeug, das ich anhabe ist nicht wasserabweisend, deshalb bin ich sowieso klatschnass.

Nach einem weiteren, aber eher sanften und durch Wald führenden, Aufstieg erreiche ich die höchste Stelle der heutigen Etappe. Meine Laune ist absolut im Keller. Ich bin klatschnass, mir tut alles weh, mein Rücken ist komplett aufgescheuert (weshalb ich schon ohne geschnallten Hüftgurt gehe) und mein Frühstück habe ich noch immer im Rucksack. Hinsetzen kann ich mich nirgends, weil es nach wie vor schüttet. In meiner Verzweiflung rufe ich den heiligen Jakobus an, er möge mir doch eine überdachte Sitzgelegenheit zur Verfügung stellen. Nicht schlecht habe ich gestaunt als keine 100 Meter später ein riesiger Baum, der mitten auf der Freilandstraße steht, so dichtes Laubwerk hat, dass die Straße unter ihm, trotz strömendem Regen, trocken ist. Und am Stamm steht: ein Bankerl! Ich kann mein Glück kaum fassen und nutze die trockene Sitzgelegenheit um zu frühstücken.

Durchnässt wird mir bei dem anhalten Wind dann doch etwas kalt. Da fällt mir ein… ich habe ja eine Wind- und Regenjacke dabei. Könnte gegen Wind und Regen helfen. Nur zieh ich sie ungern an, weil ich ziemlich schwitze in dem Teil. Aber es läuft. Mich wunderts nur, dass mein Handy so gut mitmacht, das ist die letzten Tage immer im Wasser in der Hose gewesen.

Jetzt geht der Abstieg an. Der Fuß tut mir so weh, dass ich immer wieder stehen bleiben muss, weil ich die Schmerzen nicht mehr aushalte. Ich brauche definitiv eine längere Pause! Seit Tagen muss ich mich zwingen in der Früh rauszugehen. Da ist es eindeutig an der Zeit sich mal ausgiebig zu erholen. Mindestens 2 Tage. Mir stehts heute auch bis da (mit der Hand leicht über der Stirn deutend). Ich habe keine Lust mehr weiter zu gehen. Mir fehlt der gemütliche Arbeitsalltag. Mir fehlt meine gemütliche Wohnung. Mir fehlt ein gemütlicher Grillabend mit dem Nachbarn. Mir fehlt eine gemütliche Zockerrunde mit dem Beini. Mir geht grad einfach alles ab. Um mich abzulenken (vorallem von den Schmerzen am ganzen Körper) drehe ich mir Hans Zimmer auf und denke über das nach, was mich am meisten fasziniert: Das Universum. Das hört sich jetzt vielleicht kindisch oder esoterisch an, aber ich verliere mich gerne in den unendlichen Weiten des Alls. Es hält einem immer wieder vor Augen wie klein und unbedeutend alles ist. In milliarden Galaxien, welche wiederum milliarden Sterne beinhalten, die wiederum von milliarden Planeten umkreist werden. Da wird einem klar, das es völlig egal ist welche Entscheidungen man trifft, welche Dinge einen beschäftigen. Es gibt kein richtig oder falsch, man lebt sein Leben nur für sich selbst, denn ist es so unglaublich unbedeutend, dass man niemals einen essenziellen Effekt auf das große Ganze haben kann. Also worüber Sorgen machen? Einfach leben! Somit wäre das mit der mehrtägigen Pause auch fixiert.

Keine Lust mehr auf Santiago? Hier wären ein paar Alternativen 😀

Auf den letzten Kilometern treffe ich einen Deutschen, der auch bis nach Santiago pilgern möchte. Wir unterhalten uns ein wenig und kommen an einer weiteren Gruppe Pilger vorbei. Er kennt die Damen bereits. Sie gehen jeden Tag 10 Kilometer und fahren 15 mit dem Bus. Er sieht das etwas skeptisch, aber ich sehe das nicht so eng und denke es sollte jeder den Weg für sich selbst machen.

In meiner Unterkunft lege ich mich erstmal hin. Nur eine Pause und das trotz Schmerzen… ich bin geschlaucht. Morgen noch bis Freiburg und dort werde ich mindestens 2 Tage Pause machen. Ich will mich mal gscheit erholen und wieder frisch motiviert durchstarten. Auch wenn ich momentan wirklich mies drauf und in „scheiß drauf“ Laune bin, will ich doch unbedingt den Jakobsweg erfolgreich abschließen. Und wenn mal wieder die Sonne rauskommen sollte, wirds sicher auch gleich besser 🙂