Jakobsweg Tag 74: Er kann ja, wenn er will

Saint Ondras – La Côte Saint André (ca. 36 Kilometer)

Der Wecker läutet um 6. Schließlich will ich heute früh raus und mal ein paar Kilometer machen nach den eher mikrigen letzten Tagen. Klar gehts nicht darum, dass man den Jakobsweg durchrennt, aber ab und zu brauch ich das einfach. Vorallem muss man ja nicht rennen, nur mal früher aufstehen und später Schluß machen 🙂

Das erste, was mir auffällt: Eine Zecke auf der Rückseite des Oberarmes. Ich kann sie ohne Spiegel gar nicht sehen, bekomme sie aber problemlos weg. Meine größte Angst ist, dass ich irgendwann mal irgendwo eine Zecke sitzen hab, wo ich sie nicht finde oder gar nicht hinkomme. Muss ich halt andere Pilger um Hilfe bitten 🙂

Schnell zusammengepackt und losmarschiert. Um 7 wollte ich draussen sein, habs sogar fast geschafft, um ein paar Minuten war ich zu spät.

Es regnet mal wieder. In der Nacht hat es auch geregnet, deshalb habe ich gehofft vom Regen verschont zu bleiben. Pech gehabt. Es schüttet 3 Stunden lang. Diesmal verzichte ich komplett auf Regenschutz und teste mal ob der Rucksack wirklich so wasserresistent ist, wie der Hersteller sagt. (Anm.: Die Sachen waren minimal feucht, kann aber auch andere Ursachen gehabt haben. z.B. das nasse Zelt im Rucksack)

Wenn es so stark regnet, will man eh keine Pause machen und so gehe ich zielstrebig nach Le Pin, der ersten größere Ort auf der Etappe. Im einzigen Gasthaus der Stadt frage ich nach was zu essen, der Hunger ist schon riesig. Erst ab 12, aber das würde heißen fast 1 1/2 Stunden warten. Also gehe ich weiter zum nächsten Ort. Auch dort gibt es kein Restaurant, aber es hat aufgehört zu regnen und ich finde etwas bankerlähnliches, das ich nutze um mir ein paar Thunfischburritos zu machen. Nicht wirklich der burner, aber stillt den Hunger.

Weiter gehts immer wieder abwechselnd bergauf durch hohes, nasses Gras und bergab durch bachbettähnliche Wege. Dieser Teil der Etappe ist sehr ansterengend, vorallem die Abstiege, weil man vor lauter Steinen keinen sicheren Tritt bekommt. Nach insgesamt 22 Kilometer habe ich aber das Schlimmste für heute überstanden. Die Sonne traut sich zwischen den tiefdunklen Wolken kurz durchscheinen und ich finde einen großen Picknickplatz mit unzähligen Bankerln, wo ich gleich mal eine dreiviertelstündige Pause einlege. Kurz überlege ich mir hier schon eine Unterkunft zu suchen. Aber es ist erst 14 Uhr und heute ist es weder schwül noch heiß. Außerdem wollte ich ja eigentlich ein paar extra Kilometer machen, also auf gehts.

Ab diesem Zeitpunkt bin ich massiv motiviert. Ein Kilometer nach dem anderen Fällt. Alle angeschriebenen Unterkünfte lasse ich links liegen. Nur die Pausen häufen sich jetzt. Vorallem ab Kilometer 30 merke ich einen Kraftverlust. Zwischendurch musste ich an einem Friedhofsbrunnen Wasser auffüllen, meine Flaschen sind leer. Das ist mir schon lange nicht mehr passiert. Viele Kilometer verursachen halt viel Durst 😉 Und meine Ferse muss ich verarzten. Offenbar bin ich Barfuß irgendwo hängen geblieben und durch die Reibung im Schuh hat sich die Stelle jetzt leicht entzündet.

Kurz vor meinem Etappenziel bin ich irgendwo falsch abgebogen und plötzlich in einem Ort, der gar nicht auf dem Jakobsweg liegt. Das ärgert mich wieder, denn es ging die ganze Zeit bergab, was ich jetzt wieder bergauf gehen muss. Ärgern nutzt nix, selber schuld, da muss ich durch.

Endlich am Ziel! Der Jakobsweg führt durch einen kleinen Sightseeing-Pfad, welcher die Highlights der Stadt präsentiert. Schön anzusehen, aber wirklich geniessen kann ich es nicht, dafür bin ich gerade zu erschöpft. Mein Rücken ist ganz aufgeschunden und jeder Schritt verursacht dadurch Schmerzen. Zum Glück haben die Geschäfte in Frankreich ziemlich lang offen. Da hole ich mir noch schnell Blasenpflaster, die ich mir morgen auf die Druckstellen am Rücken kleben kann.

Jetzt aber erst mal Unterkunft suchen. Laut Internet gibt es nur 2 Übernachtungsmöglichkeiten in der Stadt. Die erste ist ein eher heruntergekommenes Hotel, aber dafür einen Tick günstiger. Alle Zimmer belegt. Mir wird etwas flau in der Magengegend. Und das nicht nur, weil ich schon wieder Hunger habe. Meine Chancen einen Schlafplatz zu bekommen haben sich gerade halbiert. Also weiter zum anderen Hotel. Während ich an der Rezeption nach einem Zimmer frage, sehe ich am Schlüsselboard 2 Schlüssel hängen und bete, dass das nicht die Präsidentensuite ist. Ich habe Glück, ein Einzelzimmer ist noch frei. Na gottseidank!

Noch bevor ich irgendwas anderes mache, marschiere ich in die Pizzeria nebenan und gönne mir eine Pizza mit Anschovies, Kapern und Oliven. Das sollte meinen Salzbedarf erstmal decken 😀 Als ich aus der Pizzeria rauskomme, regnet es schon wieder. Phu, eine halbe Stunde länger gewandert und ich wäre zum zweiten Mal nass geworden! Schön langsam kanns mit der Regnerei aber echt mal aufhören. Auch wenns von der Temperatur her heute wirklich sehr angenehm war. Was mir letztendlich ja erst die große Distanz von heute ermöglicht hat.

Achja: Meine Schuhe sind durch. Also eigentlich nur der Rechte. Wenn ihr euch erinnern könnt, musste ich die Schuhe ja eine dreiviertel Nummer kleiner kaufen, weil sie die anderen nicht lagernd hatten. Und weil mir die Schuhe minimalst zu klein sind, sind sie an den Reibstellen aufgerissen und schauen jetzt aus wie schweizer Käse 😀 Seit zwei Tagen ist auch die Dämpfung rechts hinüber. Naja, ich trag sie halt so lang, bis meine Zehen ganz durchschauen, vom Profil her geht noch was. Außerdem gibt es hier irgendwie so gut wie keine Geschäfte. Habe schon mit anderen Pilgern Spekulationen aufgestellt wo die Franzosen einkaufen gehen 😀

Morgen die 40 Kilometer knacken? Reizt mich schon, aber ich glaub es ist besser, wenn ichs nicht übertreib und es bei einer normalen Etappenlänge belasse :D. Wünsch euch was. Bussi bis morgen.