Jakobsweg Tag 75: Gemütlich… schnellschnellschnell… gemütlich

La Côte Saint André – Revel-Tourdan (ca. 22 Kilometer)

Weil in Frankreich die Uhren etwas anders gehen, das habe ich schon mitbekommen, lasse ich mir in der Früh viel Zeit um in die Gänge zu kommen. Ich möchte auf jeden Fall zum Supermarkt, der sperrt aber erst um halb 9 auf. Also habe ich mal ausnahmsweise Frühstück gebucht und falle über das Buffet her.

Ich checke aus und bin pünktlich um halb 9 beim Supermarkt. Ein paar Sachen fürs Mittagessen sind besorgt und schon kanns los gehen.

Gleich nach 2 Kilometer kommt ein Bankerl mit einer wirklich schönen Aussicht. Solche Bankerl sind hier in Frankreich so extrem selten, dass ich die Chance nutzen muss. Mein heutiges Etappenziel ist mit Revel-Tourdan schon ziemlich fix und weil ich ja „eh nur“ noch 20 Kilometer vor mir habe, gönne ich mir eine einstündige Pause. Und snacke mal eben eine Tafel Schokolade 😀 Eine Gruppe deutscher Senioren kommt vorbei ich plaudere ein wenig mit einer Dame, die sich zu mir setzt. Sie haben vor 17 Jahren als Gruppe mit 20 Leuten in Deutschland begonnen den Jakobsweg zu gehen. Hanne meinte etwas später, dass es jetzt nur noch 6 seien, weil die anderen bereits weggestorben sind 😀 Die Gruppe geht weiter, ich bleibe noch ein bisschen, ehe auch ich weiter ziehe.

Keine 2 Kilometer später finde ich wieder ein gemütliches Bankerl. Gut, weiter als Revel-Tourdan komme ich heute offenbar wirklich nicht 😀 Aber man muss auch sagen, dass es mit Unterküften auf dieser Strecke gerade eher mager aussieht. Und wer gesellt sich zu mir, als ich gerade am chillen bin? Martin! Er und Hanne haben sich vorerst getrennt und er möchte erstmal ausgiebig frühstücken. Croissant mit Nussschokolade und Gurke. Als wäre er hochschwanger 😀 Auch Hanne kommt vorbei, geht aber direkt weiter. Sie, als auch Martin, suchen getrennt voneinander eine Bleibe für 2 Tage um eine kleine Auszeit zu nehmen. Verstehe ich gut, aber ich bin momentan etwas übermotiviert und denke gar nicht an Pause.

Nachdem Martin fertig gefuttert hat, gehen auch wir weiter. Wir reden viel über den Pacific Crest Trail, von dem ich ihm erzählt habe. Er ist von dem Weitwanderweg in den USA total fasziniert und würde auch gerne dort hin. Ich lade ihn sofort ein mit mir nächstes Jahr zu starten, aber so sicher ist er sich dann auch wieder nicht 🙂 Naja, immerhin hat er ja noch einen Job.

Wir holen Hanne ein und machen eine gemeinsame Mittagspause an einem Teich. Gleich nebenan ist ein Campingplatz und Hanne begutachtet den Zustand, ob das was ist für ihren Pausentag. Aber es gibt keine Möglichkeit zu schwimmen in der Nähe, was für sie Voraussetzung ist.

Es folg ein Aufstieg, bei dem ich an meine Grenzen gehe, damit ich mit den beiden mithalten kann. Mir wird klar, dass ich mich wieder trennen muss um mein eigenes Tempo zu gehen. Hanne sucht aber schon jetzt eine Unterkunft und verabschiedet sich. Martin bleibt auch erstmal im Ort um sich umzusehen, so mache ich mich alleine auf den Weg nach Revel-Tourdan.

Die Wolken ziehen schon wieder zu und ich hoffe rechtzeitig anzukommen. Während ich so vor mich hinlatsche und versuche auf den morastigen Wegen möglichst wenig Gatsch abzubekommen, reissts mich. Martin setzt zum Überholen an. Er hat doch keine Bleibe gefunden und geht jetzt auch weiter. Weil er schneller ist als ich, schicke ich ihn vor, dass zumindest er nicht nass wird, denn es wird schon ganz schön dunkel.

Ich würde gerne noch eine Pause machen, aber es beginnt zu tröpfeln. Also lege ich an Tempo zu, was mich wirklich sehr fordert. Am Limit meiner Kräfte komme ich in Revel-Tourdan an. Hier soll es 4 Herbergen geben, aber nirgends eine Beschriftung. Nachdem ich durch die ganze Stadt durch bin und nichts gefunden habe, erinnere ich mich an ein Schild mit einer Unterkunft kurz nach Revel-Tourdan. Unterkünfte hier in der Gegend sind ja eher rar und deshalb habe ich mir angewöhnt alle Schilder am Weg zu fotografieren. Eines war dabei mit einer Unterkunft kurz nach Revel-Tourdan. Das Schild war auf Deutsch und offenbar sind es Inder. Denn es gibt neben indischer Küche auch indische Massagen. Ein Anruf kann ja nicht schaden. Leider kein Deutsch, aber wenigstens gutes Englisch. Für mich ist noch ein Bett frei. Sehr gut! Und weil es mittlerweile schüttet, bietet mir der Besitzer an mich abzuholen. Das Angebot nehme ich gerne an. Sehr nett 🙂

Zu meiner großen Überrschung erscheint am vereinbarten Ort kein Inder, sonden Yvan, ein gebürtiger Franzose. Seine Frau ist aber Inderin und sie nehmen viele deutsche Pilger auf, deshalb auch das Schild auf Deutsch. Gut, hätten wir das auch geklärt 😀

Wir erreichen eine großen Bauernhof. Yvan hat mal Ziegenkäse hergestellt, aber vor einigen Jahren damit aufgehört, es rechnet sich einfach nicht mehr. Er führt mich in ein Nebengebäude, was früher einmal der Stall gewesen sein muss. Stiegen führen rauf zum Strohboden. Überall stehen Kübel, weil das Dach nicht dicht ist. Als er mir dir Unterkunft zeigt, habe ich mit allem gerechnet, aber sicher nicht damit. Ein schön ausgebautes Zimmer für 5 Pilger. Inklusive neuem Bad und WC. Es gibt auch eine eigene Getränkeliste. Bier für 1 Euro? Da bin ich dabei und gieße mir gleich mal 2 Leffe hinter dir Binde. Jaja Papa, ich weiß, ich sauf zu viel. Gönn mir doch den Spaß, immerhin bin ich ja ein Deringer 😀

Zum Abendessen gab es indische Küche und ein anregendes Gespräch mit meinen Gastgebern (und Wein und Schnaps). Und weil kein anderer Pilger mehr gekommen ist, habe ich das ganze Zimmer für mich alleine. Ein wahrer Glücksgriff mit dieser Pilgerunterkunft! Durch die Offenherzigkeit der Familie und das wirklich gemütliche Zimmer, fühle ich mich fast wie zuhause. Eigentlich schon fast schade, dass ich morgen wieder raus muss 🙂

Jetzt wird erst mal Heidi gemacht. Schlaft gut meine Lieben!