Clonas sur Varèze – Bourg-Argental (ca. 30 Kilometer)
Gestern, am späten Abend, wars relativ laut am Campingplatz. Es waren viele Deutsche dort und einer ist alle durchgegangen und hat jedem seine Lebensgeschichte erzählt. Daher habe ich mir Musik angemacht und bin zu den sanften Klängen von AC/DC, den Rolling Stones und Co eingeschlafen. In der Früh habe ich mit Freuden festgestellt, dass keine einzige Nacktschnecke auf dem Zelt war. Auch das Kondenswasser hat sich halbwegs in Grenzen gehalten. Allerdings habe ich anscheinend in Schlaf mit dem Schlafsack paar mal die Zeltwand abgewischt, weil der ist an den Füßen ziemlich nass.
Gerade als ich am Zampacken bin, kommt die deutsche Plaudertasche auch bei mir vorbei und erzählt seine Lebensgeschichte ein weiteres Mal. Zusammengefasst: Er ist seit einem Jahr mit dem Rad unterwegs, weil ihm sein Bürojob krank gemacht hat. Ist ja eigentlich eine Story, über die man philosophieren kann, aber ich will los. Ich schultere den Rucksack und verabschiede mich.
Ich habe mich verlaufen. Um zurück zum Jakobsweg zu gelangen, musste ich durch ein paar Vororte von Clonas, habe aber auf der Karte nicht gesehen, dass die Straße, die ich genommen habe, vor den Bahngleisen aufhört und gar kein Übergang ist. Das beschert mir einen Umweg, aber ich finde doch wieder auf den Jakobsweg zurück.
Der nächste Abschnitt führt direkt über eine Schnellstraße, ohne Grünstreifen oder sonstige Ausweichmöglichkeit. Solche Momente sind definitiv die gefährlichsten während der Wanderschaft. Viel Verkehr mit hoher Geschwindigkeit und man muss mitten auf der Straße gehen. In meiner Vorstellung sitzen die Planer des Jakobsweges am Stammtisch beisammen und beschließen dann im Suff unter lautem Gelächter: „Und dann lassen wir sie direkt auf der Straße zwischen den Autos gehen. MUAHAHAHAHA“. Genau so.
Wenigstens kommt danach ein Bankerl. Da habe ich mir mal eine Frühstückspause verdient. Als ich fertig bin mit meiner Jause, kommt Martin gerade die Straße runter. Er muss aber noch ein paar Sachen in der Stadt besorgen und so gehe ich trotzdem alleine weiter.
Soeben habe ich den tiefsten Punkt des Jakobsweges passiert. Von jetzt an kanns ja nur noch bergauf gehen!
Während ich mich die Meter rauf quäle, sehe ich vor mir einen anderen Pilger. Er bleibt stehen und wartet auf mich. Ein Franzose, der ein ziemlich komischer Kauz ist. Angeblich war er schon zwei mal in Santiago, schlaft immer nur im Wald und macht bis zu 60 Kilometer am Tag. Vorallem weil seine Wäsche nach Waschmittel riecht (ja, man sollte nicht glauben, wie stark man das mit der Zeit wahrnimmt) und er langsam vor sich hinhumpelt, finde ich seine Geschichte etwas unglaubwürdig. Fast komme ich nicht mehr los von ihm, aber er bekommt einen Anruf, was dann meine Rettung ist.
Ich lege deutlich an Geschwindigkeit zu, um möglichst viel Distanz zwischen uns zu bringen. Im nächsten Ort muss ich dann aber dich eine Pause machen. Leider gibt es keine Sitzgelegenheit, aber die Kirche hat offen. Was in Frankreich sehr selten ist, bis jetzt hatten fast alle Kirchen am Weg geschlossen. So setze ich mich in die Kirche um kurz zu verschnaufen. Als ich wieder rausgehe, kommt mir der Franzose entgegen. Oh nein. Aber er will einen Rosenkranz beten und verabschiedet sich in die Kirche. Das macht ihn nicht weniger seltsam 😀
Fast ohne Pause drücke ich die nächsten 13 Kilometer durch. Ich schreibe Martin an, ob er sich bei einem Campingplatz so eine Holzhütte teilen will. Die Hütte kostet 73 Euro und hat eine Küche, was uns ein reichliches und kostengünstiges Abendessen bescheren würde. Martin stimmt zu und ich reserviere die Unterkunft. Vor den letzten 5 Kilometern muss ich dann dochmal eine längere Pause machen. Bis auf mein kleines Frühstück hatte ich noch nichts zu essen und mir hängt der Magen durch. Wenn wir aber eh bald kochen, will ich jetzt auch kein Festmahl mehr beginnen.
Die letzten 5 Kilometer legen nochmal fast 400 Höhenmeter auf den Tisch, was schon ziemlich kräftezehrend ist. Bei einem Stück relativ einfachem Abstieg, rutsche ich über eine Wurzel und falle seitlich Richtung Stacheldraht. Zum Glück habe ich immer meine Stöcke in der Hand und schaffe es, mich in einer schnellen Reaktion aufzufangen. Viel hätte nicht gefehlt und das wäre richtig böse ausgegangen. Im freien Fall inklusive Rucksack den Stacheldraht einzureißen ist sicher nicht so lustig. Obwohl ich mich nirgends verletzt habe, muss ich erstmal kurz stehen bleiben und den Schock setzen lassen.
Endlich am Campingplatz angekommen, stelle ich zu meinem Glück fest, dass ich mich am Telefon verhört habe. Die Hütte kostet nicht 73 Euro, sondern 37! Das teilen wir dann natürlich nochmal und so wird die heutige Nacht zu einem unverhofften Schnäppchen. Als Martin dann auch noch eintrifft, gehen wir zum nahegelegenen Supermarkt ein paar Dinge für unser Abendessen einkaufen.
Für mich war der Tag ein Erfolg. Trotz der vielen Höhenmeter, war ich flott unterwegs und habe mehrere Pilger überholt. Meine Fitness ist wieder zurück! Morgen werden Martin und ich einen Tag Auszeit nehmen. Er muss, weil sein Fuß schmerzt, ich möchte Kräfte sammeln für eine 37 Kilometer Etappe mit (über?) 2000 Höhenmetern. Eigentlich sind es zwei Etappen, aber zwischen unserer Stadt hier und den nächsten Häusern gibt es bis auf eine Massenherberge nur Wald. Und ich möchte meine wiedergewonnene Fitness nutzen um da in einem Ruck durchzumaschieren.
Jetzt brauche ich aber meinen Schönheitsschlaf. Gute Nacht 🙂