Jakobsweg Tag 79: Ein herrlicher Tag!

Bourg Argental – Montfaucon en Velay (ca. 37 Kilometer)

Die Nacht war wieder nicht so berauschend. Ich werde mit dem Bett einfach nicht warm. Da bin ich glatt froh, dass der Wecker läutet, damit ich endlich aus diesem Foltergerät raus kann. Von Martin habe ich mich bereits gestern verabschiedet, damit er in Ruhe weiterschlafen kann. Zu meiner Überraschung bin ich tatsächlich kurz vor 6 fertig und kann mich auf den Weg machen.

Es ist noch bisschen kühl, aber keine Sorge, es geht eh gleich bergauf. Zuerst will aber noch ein Pferd gestreichelt werden, das auf einer Wiese, die man queren muss, an einer ziemlich kurzen Leine angekettet ist. Armes Viecherl, hat ein paar Streicheleinheiten verdient.

Nachdem ich durch Bourg Argental komplett durch bin, wars das für heute mit Zivilisation. Die erste Hälfte des Weges geht permanent bergauf, aber nur mit einer leichten Steigung. Erst auf Asphalt, dann geht es in den Wald hinein. Das Gelände ist sehr gut begehbar und so komme ich gepaart mit der eher sanft gehaltenen Steigung sehr flott voran. Im Allgemeinen würde ich die ersten 20 Kilometer eher als Familienwanderweg bezeichnen. Im Vergleich zu den Zuständen der Wege, die man sonst von Frankreich gewohnt ist, ist dieser „Spaziergang“ eine willkommene Abwechslung. Vorallem bei den kühlen Temperaturen macht es wirklich richtig Spaß bergauf durch den Wald zu gehen.

Am Zenit der heutigen Etappe ist ein kleiner Ort, den ich aber auf jeden Fall „übergehen“ möchte, weil es nur zwei Herbergen gibt und vermutlich von Pilgern geflutet sind, die nach dem Aufstieg eine Pause brauchen. Nachdem ich aber nur 5 Stunden für die ersten 20 Kilometer inklusive 900 Höhenmeter gebraucht habe, gönne ich mir mal eine Mittagspause. Dabei beobachte ich ziemlich viele Radfahrer auf Rennrad. Endlich mal sportliche Franzosen. Im Gegensatz zu Österreich und der Schweiz sind selbst am Wochenende die Wanderwege wie ausgestorben. Grad in der Schweiz wars Samstag und Sonntag ein Horror zu wandern, weil so unglaublich viele Radfahrer unterwegs waren. In Frankreich sind die Straßen und Wege immer menschenleer. Nichtmal Gassigeher sieht man hier.

Top motiviert mache ich mich auf zur zweiten Hälfte der Etappe. Das Gelände wird schwieriger und es geht immer wieder abwechselnd auf und ab. Aber: Fast kein Asphalt. Hauptsächlich durch Wald und selten mal über Wiesen. Das Wetter ist perfekt fürs Wandern. Den ganzen Tag ist es bedeckt und es weht eine frische Brise. Dadurch schwitze ich mal nicht so abartig wie sonst 😀 Und: Es ist der dritte (!!!!!) Tag in folge, an dem es nicht geregnet hat. Das hat viele Pfade wesentlich leichter begehbar gemacht. Nicht mehr alles voller Schlamm und man muss auch nicht mehr durch die riesigen Pfützen durch, sondern kann drumherum. Apropos. Ein kleines Bächlein hat offenbar etwas mehr Wasser geführt als sonst und der Jakobsweg geht mitten durch.

Theoretisch könnte man durch Sträucher irgendwie drumherum gehen. Aber theoretisch könnte man auch nach Santiago fliegen statt zu gehen. Also Schuhe aus und Barfuß durch den Bach. Nachdem ich die Ausrüstung auf die andere Seite gebracht habe, musste ich noch eine extra Kneipptour durchs frische, kalte Wasser machen. Wirklich sehr erfrischend! Das hat echt Spaß gemacht 😀 Nach dem abtrocknen gabs noch eine Pause bevor ich die letzten 6 Kilometer in Angriff nehme.

Einen größeren Aufstieg gibt es noch, dann wirds flacher und schließlich kommt Montfaucon ins Sichtfeld. Das Hotel liegt fast am Weg und ich freue mich endlich angekommen zu sein. An der Rezeption wird ausschließlich Französisch gesprochen, aber mittlerweile habe ich die gängigen Floskeln drauf und deshalb ist das inzwischen kein Problem mehr. Das Zimmer ist wirklich penibel sauber, was mich etwas wundert. Ich habe in Frankreich bis jetzt noch kein einziges nicht abgesifftes Zimmer gehabt 😀 Abendessen im zugehörigen Restaurant muss natürlich schon sein. Weil ich natürlich kein Wort von dem verstehe was heute zur Auswahl steht, sage ich nur „surprise“ und lasse mich überraschen. Und natürlich bestelle ich eine Karaffe „vine rouge“. Das schaffe ich grad noch 😀 Als Vorspeise gibt es Oliven mit Teigtaschen (hab nicht rausgeschmeckt was die Füllung war), eine grüne Suppe (war kein Bärlauch, aber sehr lecker), als Hauptspeise gekochtes Rindfleisch mit allerhand kleinen Beilagen und Erdäpfelgratin und als Nachspeise Mousse au Chocolat. Ein wirklich gutes Menü, die „surprise“ ist gelungen 🙂

Mittlerweile esse ich für drei. Aber ich merke auch, je mehr ich esse, desto weiter komme ich. Da lässt sich ein Zusammenhang erkennen 😀 Allem Anschein nach, habe ich bis jetzt viel zu wenig gegessen. Das würde auch den drastischen Gewichtsverlust erklären. Sogar Pilger, die mich zwei Wochen lang nicht gesehen haben, meinen, dass ich immer schlanker werde. Habe da natürlich nichts dagegen 😀 Nur wenns zu schnell geht, dann stimmt was nicht. Aber wie gesagt, der Hunger kommt inzwischen von allein und die zusätzlichen Kalorien machen sich vorallem dadurch bemerkbar, dass ich gegen Abend nicht mehr komplett niedergeschlagen bin.

Ich bin wirklich sehr stolz auf mich, dass ich die 37 Kilometer Strecke mit 2 Kilometer Höhenunterschied doch so locker weggesteckt habe. Natürlich fühle ich mich gefordert, aber noch lange nicht erschöpft. Langsam möchte ich meine Grenzen austesten und mal schauen „was so geht“. Deshalb nehme ich mir für morgen eine 39 Kilometer Etappe vor. Man muss sich ja langsam steigern 😀 In dem Tempo erreiche ich übermorgen schon Le Puy. Dort möchte ich mir aber ziemlich sicher noch einen Tag Auszeit gönnen. Ich habe mir neue Schuhe und eine neue Isomatte nach Le Puy schicken lassen und bin gespannt ob das funktioniert 😀