Jakobsweg Tag 91: Auf und davon

Conques – Livinhac-le-Haut (ca. 22 Kilometer)

Martin hat gestern schon angekündigt, dass er heute mehr Kilometer machen will. Natürlich gönne ich ihm es, dass er sich mal richtig austoben kann, allerdings werde ich ihn wohl nicht mehr einholen können. Somit war es indirekt ein Abschied.

Man trifft wirklich viele Menschen am Jakobsweg. Mit einigen unterhält man sich flüchtig, so wie mit einer Dame heute am Nachmittag, die mir von ihrer Liebesbeziehung zu ihrem Rucksack erzählt hat, mit einigen geht man ein Stück. Einige ignoriert man oder wünschte sie würden sich ignorieren lassen. Einige Menschen sieht man jeden Tag, man grüßt sich, aber dabei bleibts auch. Und dann gibt es da die eine handvoll Menschen, die man wirklich ins Herz schließt und nie mehr vergessen möchte. Dabei ist es völlig irrelevant, ob man sich nur für ein paar Stunden gesehen hat, oder eine ganze Woche miteinander verbracht hat. Es sind diese Momente, welche dem Jakobsweg das besondere Etwas geben. Ich denke da zum Beispiel an Johanna, die erste andere Pilgerin, die ich getroffen habe. Oder an Karin, dank der die langweilige Landschaft in Oberösterreich keine Rolle mehr gespielt hat. Natürlich kann ich Nadine und Patricia nicht unerwähnt lassen, welche nach wie vor „meine Mädels“ sind, wenn ich von ihnen erzähle. Genauso haben Elisabeth und Marc (und Hund Ammelie) meinen Weg geprägt. Man trifft, wie man sieht, viele Menschen, an die man vermutlich ein Leben lang denken wird. Dazu gehört auch Martin. Er hat mir gezeigt, dass Herbergen ja gar nicht so schlimm sind, dass man ausreichend essen sollte und mir ein paar andere Kleinigkeiten vorgelebt, welche das (Pilger)Leben einfacher machen. Er muss in etwa 2 Wochen für etwa 2 Wochen nach Deutschland. Spaßhalber habe ich gesagt, ich gehe mal vor, er soll mich einholen. Zutrauen würde ich es ihm aber tatsächlich. Martin, du wirst mir fehlen! Genug philosophiert, sonst fange ich noch zu heulen an 😀

Der Schlaf war gut, aber zu kurz. Mein Körper ist sichtlich erschöpft und braucht mal dringend eine Pause. Im Halbschlaf habe ich mitbekommen, dass Martin verschwindet. Kurz habe ich überlegt ob ich auch aufstehen soll, bin aber wieder eingeschlafen, noch bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht habe. Irgendwann muss ich aber raus, nutzt alles nix. Die heutige Etappe isf zwar kurz, hat es mit etwa 1500 Höhenmetern aber durchaus in sich. Aus diesem Grund, und weil das Zimmer um 9 geräumt sein muss, breche ich um 8:30 Uhr auf.

Mein Körper schreit permanent „PAUSE!“. Aber er meint damit leider nicht 5 Minuten hinsetzen 😀 Nach einem kurzen, aber steilen, Aufstieg, werfe ich mir mal Zucker in Form von Trockenfrüchten ein. Dank Hörbuch, vergeht die Zeit bis zur nächsten Pausenstation wie im Flug. Dieser Streckenabschnitt verläuft auf einer verhältnismäßig flachen Straße und ist ziemlich langweilig. Wenigstens gibt es hier schmale Pilgerwege am Rand der Straße, damit man nicht zwischen den Autos laufen muss. Ab und zu gibt es schöne Aussichten über die für diese Gegend typische Hügellandschaft.

Gegen Mittag hat die Hitze ihren Höhepunkt erreicht. Der aufgeheizte Asphalt sorgt zusätzlich dafür, dass in den Schuhen bald tropisches Klima herrscht. Bei der erwähnten Pausenstation lege ich mich erstmal auf ein Bankerl und mache ein kurzes Nickerchen. Diese Station wird von jemandem privaten zur Verfügung gestellt. Es gibt ausreichend Schattenplätze, Wasser und Kaffee und sogar ein Klo. Man merkt im Allgemeinen, dass hier in der Region die Bewunderung für die Pilger recht groß ist. Immer wieder sieht man Wasser und/oder Kaffee zur freien Entnahme. Auch sehe ich mehrere Täfelchen mit Zuspruch für die Pilgerei.

Nach meiner Siesta geht es weiter. Wie aus dem Nichts: plötzlich Magenkrämpfe. Leider liegt das WC schon zu weit hinter mir. Es wird ziemlich dringend, aber der Pfad ist links und rechts eingezäunt. An einer Stelle hat der Bauer offenbar vor Kurzem Heuballen gemacht und den Zaun nicht wieder geschlossen. Der freut sich sicher, wenn seine Wiese etwas gedüngt wird 😀 Zumindest hatte ich eine hervorragende Aussicht. Bestes Klo der Welt. Langsam beschleicht mich aber das Gefühl, dass ich wohl mal irgendwo doch nicht so trinkbares Trinkwasser erwischt habe.

Die letzten Kilometer sind nochmal richtig anstrengend. Es geht über einen Hügel zum Etappenziel. Heute bin ich wirklich froh bald angekommen zu sein, ich bin ziemlich erschöpft. Aber immerhin war das die letzte Etappe mit richtig vielen Höhenmetern bis zu den Pyrenäen.

Gleich bei der ersten Herberge, die mir über den Weg läuft, bekomme ich ein freies Bett. Ich liege mit 4 Franzosen im Zimmer, von denen ich zwei bereits kenne. Leider spricht keiner von ihnen auch nur ein Wort englisch, aber sichtlich hat die Frau der Gruppe ein Problem damit, dass ich neben ihr liege. Weil sie aber ein Gepäcklieferservice verwendet um ihren Rucksack beim Wandern nicht selbst tragen zu müssen, hält sich mein Mitleid stark in Grenzen. Das sieht man übrigens sehr häufig hier in den Herbergen. Es gibt viele verschiedene Gepäcktransportservices, welche die Rucksäcke der Pilger von Etappe zu Etappe führen. Für mich ist das absolut unverständlich. Gerade die Planung, was man in den Rucksack packt und was nicht, um es nicht schleppen zu müssen, ist ein essenzieller Teil des pilgerns. Aber gut, jeder wie er meint. Für viele zählt man auch nicht als Pilger, wenn man in Hotels schläft, was ich jetzt wiederum nicht so schlimm finde.

Na gut meine Freunde. Ich werde noch bisschen lesen und hoffen, dass ich eine ordentliche Portion Schlaf bekomme. Gute Nacht 🙂