Te Araroa Trail 27: Angekommen

Tag 118: Invercargill – Riverton

Nachdem ich wegen des Geschummels noch immer ein schlechtes Gewissen habe, mache ich mich erleichtert nach Norden auf. Macht natürlich überhaupt keinen Sinn, aber Zeit habe ich schließlich ohne Ende und zumindest bis nach Riverton scheint es ein schöner Strandspaziergang zu sein. Zwar habe ich 35 Kilometer vor mir, aber komplett flach und ohne Hindernisse.

Aus Invercargill raus geht es für die ersten 10 Kilometer eine Straße entlang. Nicht so toll, aber dafür bin ich flott am Strand. Erst befürchte ich Schlimmes als ich dutzende Autos direkt am Meer stehen sehe, die Masse zerläuft sich zum Glück schnell und schon nach kurzer Zeit stapfe ich ganz alleine durch den Sand. Zu gehen ist es sehr schön, der Grund ist durchgehend angenehm hart und macht diesen Beachwalk zu einer der angenehmsten Sandetappen am gesamten Trail.

Theoretisch wäre Bluff hinter mir zu erspähen. Allerdings gehe ich mit Scheuklappen immer weiter, mit dem begleitenden Gedanken „Ich kanns nicht sehen, ich kanns nicht sehen“. Denn Bluff ist schließlich das Ende und das Ende kommt zum Schluss!

Mir kommen Tom und Ed (jetzt auch mit Steve) entgegen. Das sind die beiden ultrakrassen Typen mit 30 Liter Rucksäcken, die jeden Tag 40+ Kilometer machen. Zum ersten Mal habe ich sie am Timber Trail getroffen und seitdem ganz genau verfolgt wo sie so untetwegs sind. Ed meint nur ganz verwundert „Wrong way!“. Als ich ihm von meinem „ragequit“ nach Invercargill erzähle, spricht er ein paar beruhigende Worte, dass ich nichts verpasst hätte. Viel Schlamm und Tussockgras. Na zum Glück 😀

Es gibt mehrere Flüsse zu queren und weil ich mir fix vorgenommen habe keine nassen Schuhe mehr zu bekommen, schlüpfe ich in meine Sandalen und marschiere bis zum Ende des Strandes in den luftigen Crocs. Eigentlich gar nicht so übel!

Im Riverton angekommen besorge ich mir noch ein Abendessen und gehe zum örtlichen Campingplatz. Apropos Abendessen. Eigentlich schleppe ich noch immer 5-6 Tage Futter mit mir rum, für den zweiten Wald, den ich ja ursprünglich nicht überspringen wollte. Allerdings mag ich die sündhaft teuren dehydrierten Fertiggerichte nicht angreifen wenn ohnehin ein Supermarkt ums Eck ist. Ich seh mich die Dinger schon bis nach Amerika rumtragen 😀

Campingplatz. Es sieht ziemlich voll aus, aber ich frage natürlich trotzdem an der Rezeption. Der Betreiber hat sogar eine kleine Wiese ausschließlich für TA Hiker reserviert! Außerdem gibt es einen Rabatt. Nur 15 Dollar. Na da buche ich gleich zwei Nächte und werde mein Zeug in Riverton lassen, während ich morgen in Richtung Colac Bay gehe. Spät Abends kommen noch zwei andere Hiker, aber da liege ich schon längst im Bett bei einer Folge Doctor Who 🙂

Tag 119: Riverton

Die Nacht war unglaublich kalt, aber mit Weste im Winterschlafsack war es trotzdem kuschlig 🙂

Als ich aufstehe machen sich die beiden Spätankömmlinge gerade auf den Weg. Und noch während ich frühstücke trudeln schon neue Hiker ein, die heute von Colac Bay gestartet sind. Übertreibt mal nicht! Sie sagen mir, dass die 10 Kilometer zur Colac Bay ziemlich anstrengend sind und ich locker mit 4 Stunden Gehzeit rechnen muss. Nicht ausgeschildertes Farmland und brusthohes Tussockgras lassen einen orientierungslos durch die Gegend laufen. Ok, dann gehe ich halt nur bis zu einem Aussichtspunkt und sehe mir Colac Bay von der Ferne an 😀

Colac Bay

Abgesehen davon habe ich nicht viel gemacht. Spart halt schon viel Zeit, wenn man sein Zeug mal nicht ab und wieder aufbauen muss 😀

Tag 120: Riverton – Invercargill

Die Nacht war furchtbar. Aufgrund der hohen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht gabs so unglaublich viel Kondenswasser, dass es mir permanent ins Gesicht getropft hat und ich immer wieder aufgewacht bin.

Aber immerhin kenne ich den Weg nach Invercargill ja schon 😀 Deshalb starte ich den Tag auch gleich in meinen Schlapfen. Diesmal habe ich sogar Ebbe und es lässt sich noch besser gehen als beim ersten Mal. Nach der letzten Flussüberquerung… und zwar wirklich die letzte, das wars jetzt mit nassen Füßen! Zumindest für diesen Trail 😉 … wechsle ich wieder in die Schuhe. Boah, das tut schon so weh, weil sie einfach massiv verzogen sind und einfach nur noch überall drücken. Aber ist ja nicht mehr weit!

Dass man auf die Gezeiten achten muss habe offenbar nicht nur ich auf hartem Wege gelernt

Der Straßenabschnitt bis Invercargill ist heute deutlich unangenehmer. Es findet ein Motorsportevent statt und es sind tausende Biker auf der Straße. Das erklärt auch warum mir absolut jede Unterkunft in Invercargill als ausgebucht angezeigt wird. Erst will ich deshalb auf einem Campingplatz außerhalb der Stadt schlafen, der ist allerdings sehr nahe an einer Rennbahn, wo gerade Hochbetrieb herrscht. Da versuche ich mein Glück lieber in einem der Hostels.

Wieder mal in Invercargill angekommen steuere ich das günstigste Hostel der Stadt an, welches nochdazu nicht weit weg vom Trail ist. Und sie haben sogar noch ein freies Bett!

In meiner Überschwenglichkeit gehe ich ins zugehörige Pub und gönne mir eine Pizza und ein Bier. Und wenn ich schon die Spendierhosen anhab… gehe ich auch gleich zum Supermarkt und kaufe mir Duschgel! 4 Monate Neuseeland und das ist das erste Mal, dass ich im Besitz vom etwas seifenartigem bin! Phu, wieder ein halbes Kilo mehr rumschleppen, aber ist ja nur für einen Tag 🙂

Leider ist das Hostel ziemlich schäbig. Es ist zwar sauber, aber man kann deutlich erkennen, dass das Objekt nie gewartet wurde. Löcher in Wand und Türen, es gibt kein Warmwasser, alles Holz in den Nassbereichen ist total aufgequollen usw. Was aber noch schlimmer ist… es liegt ein Typ in meinem Zimmer, der einfach nicht aufhört über uninteressante Sachen zu reden. Obwohl ich längst die Ohrhörer drin habe und Musik höre, wede ich noch vollgetextet welche Stadt wieviele Radiosender hat und auf welchen Frequenzen man sie empfangen kann. Zum Glück bin ich totmüde und schlafe bald ein.

Tag 121: Invercargill – Bluff

OH … MEIN … GOTT! Mit Schlaf war nicht viel. Nicht nur dass besagter komischer Typ so laut geschnarcht hat, dass das Bettgestänge zu vibrieren begonnen hat, er hat sich um 4 in der Früh einen Snack reingezogen, der seinem Geruch nach zu urteilen einen Schoko-Curry-Thunfisch-Käse als Basis hatte. Damit er was sieht hat er seine Stirnlampe mit Suchscheinwerfer Alüren auf atomare Leuchtkraft gestellt und vielleicht versucht mit der Abfallenergie das Schoko-Curry-Thunfisch-Käse Geschöpf zum Leben zu erwecken. Spätestens als er um 6 Uhr dann auch noch seinen Radio aufgedreht hat war an Schlaf nicht mehr zu denken und ich habe mein Zeug gepackt.

Allerdings muss ich mir ein bisschen Zeit lassen, denn ich will an der i-site einen Bus für morgen von Bluff nach Dunedin buchen. Und die sperren erst um 8:30 Uhr auf. Aber auch das ist erfolgreich erledigt. Normalerweise würde ich ja hitchen, es ist aber eine vierstündige Autofahrt, da ist es mir lieber ich muss mir keine Gedanken über restalkoholisierte Motorsporteventteilnehmer machen und erspare mir auch die Rumsteherei weil ich sicher mehrere hitches bis nach Dunedin brauchen würde.

Erst als ich aus der Stadt rausgehe realisiere ich… das ist der letzte Tag! Ich versuche den Tag zu genießen, was allerdings sehr schwer fällt, denn die letzten 20 Kilometer der 34 Kilometer Etappe sind direkt auf dem Highway zurück zu legen. Und zwar mitten auf der Straße. Während ein Motorsportevent stattfindet. Im Prinzip ist es eine einzige Kolonne an Fahrzeugen die mir entgegen kommt. Ist nicht so lustig.

Immerhin holt mich bei einer Pause am Straßenrand Lissi ein. Das ist die Deutsche, welche mich damals in Methven angeschrieben hat um das Shuttle zu teilen. Wir gehen gemeinsam bis nach Bluff und freuen uns, dass wir jemanden haben um unseren Zieleinlauf gegenseitig zu fotografieren.

Und dann ist es auch schon so weit. Wir sind da!

Ortseingang
Der Stirling Point. Der offizielle Endpunkt des Trails

Ein Restaurant am Endpunkt vergibt Medaillen für alle die es bis nach Bluff geschafft haben. Nachdem ich Lissi geholfen habe eine Cheesecake zu essen, den sie unbedingt am Stirling Point verzehren wollte (Hiker und deren Fixierung auf Nahrung ist ein eigenes Kapitelk), holen wie uns dir glänzende Silberplatte.

Im einzigen Hostel der Stadt treffen wir andere Hiker welche ebenfalls vor kurzem den Trail beendet haben. Unter anderem auch Christian. Wir feiern das Ende mit Fish and Chips und Wein. Und dann falle ich auch schon erleichtert ins Bett. Endlich geschafft!

Aber ist das jetzt überhaupt das Ende? Im Gegensatz zum Camino bin ich wirklich froh, dass dieser Trail vorbei ist! Es war so unglaublich hart. Manchmal lebensgefährlich, oft nervig, hin und wieder verstörend, aber mindestens genauso wunderschön und bezaubernd. Ja, ich bin froh, dass es vorbei ist, aber andererseits fehlt mir die Natur und die Abgeschiedenheit jetzt schon. Zum Glück ists ja nicht allzulang bis ich endlich am PCT starten darf 🙂

Während ich gerade überlege wie ich meine Eindrücke und Gefühle zu Papier bringen soll, muss ich mir ein paar Tränchen verkneifen. Es ist vorbei. Eigentlich bin ich erleichtert, aber tief in mir will ich nicht, dass es aufhört. Der Te Araroa Trail ist eine einzigartige Erfahrung. Alle Hiker sind eine riesige Familie. Vielleicht gerade weil dieser Trail alles abverlangt wissen wir wie sehr jeder einzelne von uns gelitten hat. Beinahe jeder ist mit der einen oder anderen Narbe in Bluff eingelaufen, die er sich im Laufe des Weges zugezogen hat. Wir wissen, dass wir aufeinander aufpassen müssen, das schweißt zusammen. Und es gibt nichts schöneres als nach einem harten Tag in der Hütte anzukommen und ein paar bekannte Gesichter zu sehen.

Ich werde es aber auch vermissen dutzende Kilometer vom nächsten Haus entfernt alleine auf einem Berg zu stehen und die Einsamkeit zu genießen. Keine Seele weit und breit. Nur du, der Berg und das Flüstern des Windes.

Oder Nachts aus dem Zelt zu gehen und sich im Nachthimmel zu verlieren. In einer Gesellschaft, die jedes Individuum in den Mittelpunkt der Existenz stellt und wo alles jederzeit und überall verfügbar ist, lässt uns ein genauer Blick in die scheinbare Unendlichkeit von Raum und Zeit so furchtbar klein und unbedeutend wirken.

Auf diese 4 Monate werde ich für den Rest meines Lebens mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurückblicken.